Dann zieht er mit einem Ruck die Decke von der Staffelei, nimmt Palette und Pinsel zur Hand, betrachtet seine Arbeit mit zusammengekniffenen Augen und geht ans Werk.
1 Herr Ludwig Palfy kommt in die Rotenturmstraße. Die Stufen tun, als wären sie doppelt so hoch wie sonst (ступени кажутся вдвое выше, чем обычно). Er hängt den Mantel und den Hut an einen Garderobehaken. Das Luiserl spielt Klavier? Nun, sie wird abbrechen (прервется) und ihm eine Weile zuhören müssen. Er zieht das Jackett straff (оправляет пиджак), als ob er beim Intendanten einen Besuch machte (как будто он посещает интенданта = коммерческого директора театра). Dann öffnet er die Zimmertür.
2 Das Kind schaut von den Tasten hoch (поднимает глаза от клавиш: die Taste) und lächelt ihn an. „Vati? Wie schön!“ Sie springt vom Klavierschemel. „Soll ich einen Kaffee machen (сделать кофе)?“ Sie will geschäftig (хозяйственно, по-деловому) in die Küche. Er hält sie fest (удерживает). „Danke, nein (спасибо, не надо)!“ sagt er. „Ich muss mit dir sprechen (мне нужно поговорить с тобой). Setz dich!“
3 Sie setzt sich in den großen Ohrensessel, in dem sie klein wie eine Puppe aussieht, streicht sich den karierten Rock glatt (разглаживает клетчатую юбку) und blickt erwartungsvoll (полная ожидания) zu ihm hoch.
4 Er räuspert sich nervös (откашливается), geht ein paar Schritte auf und ab und bleibt schließlich vor dem Ohrensessel stehen. „Also, Luiserl“, fängt er an, „es handelt sich um eine wichtige und ernste Angelegenheit (речь идет о важном и серьезном деле). Seit deine Mutter nicht mehr - nicht mehr da ist, bin ich allein gewesen. Sieben Jahre lang. Natürlich nicht völlig allein, ich hab ja dich gehabt. Und ich hab dich ja noch!“
5 Das Kind schaut ihn mit großen Augen an.
6 ‘Wie blöd ich red!’ denkt der Mann. Er hat eine ausgewachsene Wut auf sich (ужасно зол на себя). „Kurz und gut (короче говоря)“, sagt er. „Ich will nicht länger allein sein. Es wird sich etwas ändern (кое-что изменится). In meinem und dadurch (а потому: «через это») auch in deinem Leben.“
7 Ganz still ist’s im Zimmer.
8 Eine Fliege versucht mit Gesumm (муха пытается с жужжанием = жужжа), durch die geschlossene Fensterscheibe (через закрытое окно) ins Freie zu fliegen. (Jeder Mensch könnte ihr erzählen, dass das völlig aussichtslos ist (совершенно бесперспективно; die Aussicht – намерение; перспектива) und dass sie sich bloß ihren Insektenschädel einrennen wird (разобьет свой череп; das Insékt – насекомое; der Schädel – череп; rennen – бежать, мчаться; einrennen - врезаться)! Die Fliegen sind eben dumm (как раз глупы = дело в том, что глупы), aber die Menschen, die sind gescheit (смекалисты), was (не так ли)?)
9 „Ich habe mich entschlossen (решился = решил, сделал выбор: sich entschließen), wieder zu heiraten!“
10 „Nein!“ sagt das Kind laut. Es klingt wie ein Schrei (крик: der Schrei). Dann wiederholt es leise: „Bitte, nein, Vati, bitte nein, bitte, bitte nein!“
11 „Du kennst Fräulein Gerlach bereits (уже). Sie hat dich sehr gern (она тебя очень любит). Und sie wird dir eine gute Mutter sein. Auf die Dauer (надолго) wäre es sowieso (было бы все равно: «так или иначе») schwierig und verfehlt (сложно и неверно), dich in einem frauenlosen Haushalt aufwachsen zu lassen (дать тебе вырасти = чтобы ты росла в доме без женщины).“ (Ist es nicht rührend (трогательно; rühren – двигать, пошевелить /например, рукой/; berühren – прикасаться)? Es fehlte nur noch (еще бы не хватало), dass er behauptet (заявил), er wolle lediglich (только /потому/) heiraten, damit das Kind endlich wieder eine Mutter hat!)
12 Lotte schüttelt in einem fort (не прекращая) den Kopf und bewegt dazu lautlos die Lippen. Wie ein Automat, der keine Ruhe findet. Es sieht beängstigend aus (это выглядит пугающе).
13 Deshalb blickt der Vater wieder weg und sagt: „Du wirst dich schneller, als du glaubst, in den neuen, ungewohnten Zustand finden (привыкнешь к непривычной ситуации, к непривычному положению). Böse Stiefmütter kommen nur noch in Märchen vor (злые мачехи бывают: «случаются, возникают» лишь в сказках: das Märchen). Also, Luiserl, ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann (положиться). Du bist der vernünftigste kleine Kerl (самый разумный маленький парень, парнишка; die Vernunft – разум), den es gibt (который только есть, существует /на свете/)!“ Er schaut auf die Uhr. „So. Jetzt muss ich gehen. Mit dem Luser den Rigoletto korrepetieren (совместно репетировать).“ Und schon ist er aus der Tür. Das Kind sitzt wie betäubt (одурманенный = оглушенный; taub – глухой).
14 Herr Palfy drückt sich an der Garderobe den Hut auf Künstlerhaupt. Da schreit es drin im Zimmer: „Vati!“ Es klingt, als ob jemand ertränke (как будто кто-то тонет: ertrinken).
15 ‘In einem Wohnzimmer ertrinkt man nicht’, denkt Herr Palfy und entweicht (ускользает, убегает). Er hat es sehr eilig (он очень спешит). Denn er muss ja mit dem Kammersänger Luser arbeiten!
1 Herr Ludwig Palfy kommt in die Rotenturmstraße. Die Stufen tun, als wären sie doppelt so hoch wie sonst. Er hängt den Mantel und den Hut an einen Garderobehaken. Das Luiserl spielt Klavier? Nun, sie wird abbrechen und ihm eine Weile zuhören müssen. Er zieht das Jackett straff, als ob er beim Intendanten einen Besuch machte. Dann öffnet er die Zimmertür.
2 Das Kind schaut von den Tasten hoch und lächelt ihn an. „Vati? Wie schön!“ Sie springt vom Klavierschemel. „Soll ich einen Kaffee machen?“ Sie will geschäftig in die Küche. Er hält sie fest. „Danke, nein!“ sagt er. „Ich muss mit dir sprechen. Setz dich!“
3 Sie setzt sich in den großen Ohrensessel, in dem sie klein wie eine Puppe aussieht, streicht sich den karierten Rock glatt und blickt erwartungsvoll zu ihm hoch.
4 Er räuspert sich nervös, geht ein paar Schritte auf und ab und bleibt schließlich vor dem Ohrensessel stehen. „Also, Luiserl“, fängt er an, „es handelt sich um eine wichtige und ernste Angelegenheit. Seit deine Mutter nicht mehr - nicht mehr da ist, bin ich allein gewesen. Sieben Jahre lang. Natürlich nicht völlig allein, ich hab ja dich gehabt. Und ich hab dich ja noch!“
5 Das Kind schaut ihn mit großen Augen an.
6 Wie blöd ich red! denkt der Mann. Er hat eine ausgewachsene Wut auf sich. „Kurz und gut“, sagt er. „Ich will nicht länger allein sein. Es wird sich etwas ändern. In meinem und dadurch auch in deinem Leben.“
Ganz still ist’s im Zimmer.
8 Eine Fliege versucht mit Gesumm, durch die geschlossene Fensterscheibe ins Freie zu fliegen. (Jeder Mensch könnte ihr erzählen, dass das völlig aussichtslos ist und dass sie sich bloß ihren Insektenschädel einrennen wird! Die Fliegen sind eben dumm, aber die Menschen, die sind gescheit, was?)
9 „Ich habe mich entschlossen, wieder zu heiraten!“
10 „Nein!“ sagt das Kind laut. Es klingt wie ein Schrei. Dann wiederholt es leise: „Bitte, nein, Vati, bitte nein, bitte, bitte nein!“
11 „Du kennst Fräulein Gerlach bereits. Sie hat dich sehr gern. Und sie wird dir eine gute Mutter sein. Auf die Dauer wäre es sowieso schwierig und verfehlt, dich in einem frauenlosen Haushalt aufwachsen zu lassen.“ (Ist es nicht rührend? Es fehlte nur noch, dass er behauptet, er wolle lediglich heiraten, damit das Kind endlich wieder eine Mutter hat!)
12 Lotte schüttelt in einem fort den Kopf und bewegt dazu lautlos die Lippen. Wie ein Automat, der keine Ruhe findet. Es sieht beängstigend aus.
13 Deshalb blickt der Vater wieder weg und sagt: „Du wirst dich schneller, als du glaubst, in den neuen, ungewohnten Zustand finden. Böse Stiefmütter kommen nur noch in Märchen vor. Also, Luiserl, ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Du bist der vernünftigste kleine Kerl, den es gibt!“ Er schaut auf die Uhr. „So. Jetzt muss ich gehen. Mit dem Luser den Rigoletto korrepetieren.“ Und schon ist er aus der Tür. Das Kind sitzt wie betäubt.
14 Herr Palfy drückt sich an der Garderobe den Hut auf Künstlerhaupt. Da schreit es drin im Zimmer: „Vati!“ Es klingt, als ob jemand ertränke.
15 ‘In einem Wohnzimmer ertrinkt man nicht’, denkt Herr Palfy und entweicht. Er hat es sehr eilig. Denn er muss ja mit dem Kammersänger Luser arbeiten!
1 Lotte ist aus ihrer Betäubung erwacht (очнулась: «проснулась» из своего состояния одурманенности). Auch in der Verzweiflung (в отчаянии) bewahrt (охраняет) und bewährt sich (оправдывает себя) ihr praktischer Sinn (склад ума). Was ist zu tun (что следует делать)? Denn dass etwas getan werden muss (так как, что что-то должно быть сделано), steht fest (это бесспорно: «стоит крепко»). Niemals darf Vati eine andere Frau heiraten, niemals! Er hat ja eine Frau! Auch wenn (даже если) sie nicht mehr bei ihm ist. Niemals wird das Kind eine neue Mutter dulden (потерпит), niemals! Sie hat ja ihre Mutter, ihre über alles geliebte Mutti!
2 Mutti könnte (могла бы) vielleicht helfen. Aber sie darf es nicht wissen. Sie darf das ganze große Geheimnis der beiden Kinder nicht wissen, und erst recht nicht (а тем более), dass der Vater dieses Fräulein Gerlach zur Frau nehmen will!
3 So bleibt nur noch ein Weg. Und diesen Weg muss Lottchen selber gehen.
4 Sie holt das Telefonbuch. Sie blättert mit zittrigen Fingern (листает дрожащими пальцами; zittern – дрожать; der Finger). „Gerlach“. Es gibt nicht sehr viele Gerlachs. „Gerlach, Stefan. Gen. Dir. der Wiener Gaststätten GmbH (венских ресторанов ООО; GmbH = Gesellschaft mit beschränkter Haftung – общество с ограниченной отвественностью), Kobenzallee 43.“ Vati hat neulich erzählt, dass Fräulein Gerlachs Vater Restaurants und Hotels gehören, auch das Imperial, wo sie täglich Mittag essen. „Kobenzallee 43.“
5 Nachdem Resi erklärt hat, wie man zur Kobenzallee fahren muss, setzt sich das Kind den Hut auf, zieht den Mantel an und sagt: „Ich gehe weg (я ухожу).“
6 „Was willst du denn in der Kobenzallee?“ fragt Resi neugierig.
7 „Ich muss wen sprechen (мне надо кое с кем поговорить).“
8 „Komm aber bald wieder!“
9 Das Kind nickt und macht sich auf den Weg (отправляется в путь).
1 Lotte ist aus ihrer Betäubung erwacht. Auch in der Verzweiflung bewahrt und bewährt sich ihr praktischer Sinn. Was ist zu tun? Denn dass etwas getan werden muss, steht fest. Niemals darf Vati eine andere Frau heiraten, niemals! Er hat ja eine Frau! Auch wenn sie nicht mehr bei ihm ist. Niemals wird das Kind eine neue Mutter dulden, niemals! Sie hat ja ihre Mutter, ihre über alles geliebte Mutti!
2 Mutti könnte vielleicht helfen. Aber sie darf es nicht wissen. Sie darf das ganze große Geheimnis der beiden Kinder nicht wissen, und erst recht nicht, dass der Vater dieses Fräulein Gerlach zur Frau nehmen will!