Die Wortarten (Redeteile)
§ 9.Die Wörter einer Sprache stehen nicht einzeln, abgesondert da, sondern lassen sich zu bestimmten Gruppen zusammenfassen. Dabei ist nicht der konkrete semantische Inhalt eines Wortes entscheidend, sondern dessen abstrakte grammatische Bedeutung. Solche Wortgruppen nennt man Wortarten (Redeteile).
Eine Wortart faßt Wörter zusammen, die durch bestimmte gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind. Diese Merkmale sind: 1) die gemeinsame grammatische Bedeutung; 2) die gleichen grammatischen Kategorien; 3) die gleichen syntaktischen Funktionen; 4) die Art der Wortbildung.
Die gemeinsame grammatische Bedeutung der Substantive äußert sich zum Beispiel darin, daß jedes Substantiv, selbst eines mit völlig abstrakter Bedeutung, im Satz in dieselben grammatischen Beziehungen zu anderen Wörtern tritt wie die Benennung eines „richtigen“ Dinges, eines konkreten Gegenstandes.
Die gemeinsame grammatische Bedeutung aller Wörter einer Wortart ist auch damit verbunden, daß ihnen allen gleiche grammatische Kategorien eigen sind. So ist das Substantiv durch die grammatischen Kategorien des Geschlechts, des Kasus und der Zahl gekennzeichnet, das Verb durch die grammatischen Kategorien der Zeit, der Person, der Zahl, des Modus usw.
Nicht jedes Wort einer Wortart weist alle dieser Wortart eigenen grammatischen Kategorien auf. So hat nicht jedes Substantiv die grammatische Kategorie der Zahl (der Frieden, die Milch, das Grün, Moskau), nicht jedes Verb die grammatische Kategorie der Person (es schneit, es regnet), nicht jedes Adjektiv die grammatische Kategorie der Steigerung (eisern, tot, blind, Berliner).
Die Wörter ein und derselben Wortart erfüllen im Satz die gleichen syntaktischen Funktionen. Außerdem sind für jede Wortart bestimmte syntaktische Funktionen kennzeichnend: für die Verben die Funktion des Prädikats, für die Adjektive die des Attributs oder des Prädikativs, für die Adverbien vor allem die der Adverbialbestimmung usw.
Jede Wortart ist durch bestimmte Arten der Wortbildung sowie durch ein bestimmtes System der wortbildenden Mittel gekennzeichnet. Für die Substantive sind zum Beispiel die Zusammensetzung und die Ableitung von besonderer Wichtigkeit, für die Verben, Adjektive und Adverbien die Ableitung usw. Dabei hat bei den Substantiven, Adjektiven und Adverbien die Ableitung durch Suffixe größere Verbreitung gefunden (zur Bildung von Substantiven dienen z. B. die Suffixe -heit, -ling, -schaft, -tum, -ung u. a., zur Bildung von Adjektiven und Adverbien die Suffixe -bar, -haft, -ig, -lich, -sam u. a.). Bei den Verben überwiegt dagegen die Ableitung durch Präfixe (zur Bildung von Verben dienen die Präfixe an-, be-, -ent-, er-, ge-, mit-, zu- u. a.).
§ 10.In der deutschen Sprache unterscheiden wir folgende Wortarten:
1) das Substantiv (Hauptwort, Dingwort); 2) das Adjektiv (Eigenschaftswort); 3) das Numerale (Zahlwort); 4) das Pronomen (Fürwort); 5) das Verb (Zeitwort, Tätigkeitswort); 6) das Adverb (Umstandswort); 7) das Modalwort; 8) die Präposition (Verhältniswort, Vorwort); 9) die Konjunktion (Bindewort); 10) die Partikel; 11) die Interjektion (Empfindungswort); 12) den Artikel (Geschlechtswort).
Anmerkung. Ob der Artikel eine Wortart darstellt oder nicht, darüber herrscht bei den Germanisten keine einheitliche Meinung. Die meisten deutschen Grammatiken (z. B. Die deutsche Sprache. Fachbuchverlag, Leipzig, 1956) sowie einige sowjetische Germanisten (z. В. О. И. Москальская, Грамматика немецкого языка. Теоретический курс. Москва, 1956) betrachten den Artikel als eine besondere Wortart. Andere dagegen vertreten die Meinung, daß der Artikel keine Wortart ist und zu den Pronomen oder zu den grammatischen Partikeln gezählt werden muß. (E. B. Гулыга и M. Д. Натанзон. Грамматика немецкого языка. Москва, 1957.) Andere wieder betrachten den Artikel als Kennzeichen des Substantivs, ohne sich über die Zugehörigkeit des Artikels zu irgendeiner Wortart zu äußern (z. B. W. Jung. Kleine Grammatik der deutschen Sprache. Leipzig, 1954; Л. P. Зиндер и Т. В. Строева. Современный немецкий язык. Москва, 1957).
Unter den Wortarten unterscheidet man solche, die im Satz selbständig als Satzglieder auftreten (Substantiv, Adjektiv, Numerale, Pronomen, Verb, Modalwort), und solche, die im Satz die Funktion von Hilfswörtern haben (Präposition, Konjunktion, Partikel). Dementsprechend kann man alle Wortarten in zwei Gruppen einteilen: in Begriffswörter und in Hilfswörter.
Der Artikel kann nur bedingt als Wortart bezeichnet werden, denn er hat keinen semantischen Inhalt und stellt keine Wortklasse (d. h. keine Gesamtheit von Wörtern) dar. Anderseits aber steht der Artikel seiner morphologischen und semantisch-syntaktischen Funktion nach den Hilfswörtern nahe.
Eine Sonderstellung unter den Wortarten nimmt die Interjektion ein.
§11. Die Begriffswörter. Das Substantivbezeichnet Dinge im weitesten Sinne des Wortes: der Tisch, das Dorf, die Arbeiterin, der Wein, die Freundschaft, Peter, Berlin.
Das Adjektiv bezeichnet Merkmale, vor allem Eigenschaften eines Dinges: breit, groß, kalt, schwarz, zornig, eisern, jährlich, städtisch.
Das Numerale drückt einen Zahlbegriff aus, es gibt die Zahl der Dinge oder ihre Reihenfolge an: fünf (Hefte), sechzig (Jahre), (die) erste (Prüfung), (der) zwanzigste (April).
Das Pronomen weist auf Dinge oder deren Eigenschaften, hin: ich, er, wir, mein, dein, solcher, dieser, jeder, derselbe, man.
Das Verb bezeichnet einen Vorgang in seinem zeitlichen Ablauf oder einen Zustand in seiner zeitlichen Dauer: arbeiten, schreiben, gehen, schlafen, ruhen.
Das Adverb nennt die Eigenschaft eines Vorgangs, dessen Ort, Zeit, Grund, Zweck usw.: schnell, bequem, dort, morgen, deswegen, dazu.
Das Modalwort drückt das Verhalten des Redenden zur Realität einer Aussage aus: vielleicht, gewiß, natürlich, möglicherweise.
§ 12. Die Hilfswörter. Die Präpositiondrückt die syntaktischen Beziehungen zwischen zwei Satzgliedern aus und setzt dabei ein Satzglied in ein bestimmtes Verhältnis zum anderen: ins Theater gehen; auf dem Tisch liegen; aus Eigensinn widersprechen; die Bäume imGarten; die Versammlung vongestern; reich anWasser.
Die Konjunktiondient als Bindemittel zwischen Satzgliedern oder Sätzen: am Tage undin der Nacht; klein, aberfein. Man soll das Eisen schmieden, solangees heiß ist.
Die Partikeldient zum Ausdruck verschiedener Bedeutungsschattierungen eines Satzgliedes oder eines Satzes: eben, denn, nur, doch, gerade. Einige Partikeln erfüllen rein grammatische Funktionen: zu, es, am u. a.
Die Interjektiondrückt verschiedene Gefühle, Empfindungen aus, ohne sie zu nennen: Ach, Oh, Hurra, O weh!
Der Artikelbezeichnet die grammatischen Merkmale des Substantivs, dessen Geschlecht, Zahl, Kasus und gibt die Bedeutung der Bestimmtheit und Unbestimmtheit an, die das Substantiv im Satz erhält. Man unterscheidet den bestimmten Artikel (Sing.: der, die, das; Pl.: die) und den unbestimmten Artikel (ein, eine, ein; ohne Pl.).
§ 13.Die Wortarten bilden keine in sich geschlossenen Wortklassen mit unveränderlichem Wortbestand. Häufig entsteht ein neues Wort auf der Grundlage eines Wortes aus einer anderen Wortart. Diese Erscheinung bezeichnet man oft als Übergang aus einer Wortart in eine andere. Dazu gehören:
1. die Substantivierung, d. h. die Entstehung von Substantiven aus Wörtern anderer Wortarten: essen — das Essen, geben — das Geben, krank — der Kranke, deutsch — das Deutsch, reisend — der Reisende, gelehrt — der Gelehrte, fünf — die Fünf, aber — das Aber usw.;
2. die Adjektivierung, d. h. die Entstehung von Adjektiven aus Partizipien: reizend, spannend, dringend, gelehrt, bekannt, vertraut;
3. die Adverbialisierung, d. h. die Entstehung von Adverbien aus verschiedenen Kasusformen der Substantive, aus präpositionalen Wendungen oder aus Partizipien: heim, morgens, abends; zu Hause, zu Fuß, fließend, ausgezeichnet;
4. Die Entstehung von Hilfswörtern (Präpositionen, Konjunktionen, Partikeln) aus irgendeiner grammatischen Form eines Begriffswortes: laut (der Laut), dank (der Dank), während (währen), denn (dann).
Kapitel II