Der Stil der Presse und Publizistik
Der Stil der Presse und Publizistik ist an sich ein Stil der Propaganda und Agitation. Die Bevölkerung soll über aktuelle Geschehnisse in der Politik, im Gesellschaftsleben, in der Kunst, Literatur, Wissenschaft und Technik nicht bloss unterrichtet, sondern auch nach einer bestimmten Richtung hin beeinflusst und überzeugt werden. Die Erscheinungsformen sind:
- schriftlich-monologisch (in Reportagen und Agitationsschriften aller Art, in Zeitschriften und Zeitungen);
- mündlich-monologisch (im Radio);
- mündlich-monologisch (in publizistischen Reden);
- mündlich-dialogisch (in publizistischen Debatten).
Alle diese Erscheinungsformen sind literarisch genormt. Die Vielfalt der Textsorten im Stil der Presse und Publizistik unterliegt keiner strengen und detaillierten Subklassifizierung. Man kann alle Textsorten des Stils der Presse und Publizistik in 3 größere Klassen zusammenfassen.
1. Informierende Texte (Berichte, Nachricht, Mitteilung, Tageschronik, Interview, Rechenschaftbericht, Beschreibung);
2. Analytische Texte (Rezension, Artikel, Reportage, Appell, Aufruf);
3. Künstlerisch-publizistische Texte (Ansprache, Reiseskizze, Essay, Pamphlet, Feuilleton).
Je nach dem Genre der schriftlichen oder mündlichen Publizistik, variiert auch die Verwendungsweise der Ausdrucksmöglichkeiten. Reportage und Feuilleton müssen den literarisch-künstlerischen Ansprüchen der schönen Literatur entsprechen. Der einfache oder erweiterte Bericht, der Kommentar, die Chronik und andere sachlich-offizielle Formen der Publizistik und Presse nähern sich dem Stil des öffentlichen Verkehrs. Der politische und der wissenschaftliche Artikel fügen sich zum großen Teil den Gesetzmäßigkeiten des wissenschaftlichen Stils.
Dennoch kann man gemeinsame Wesenszüge und Ausdruckstendenzen des Stils der Presse und Publizistik zusammenfassen: Glaubwürdigkeit, Vollständigkeit, Aktualität, Objektivität, Genauigkeit, Tiefgründlichkeit. Selbstverstständlich fließen in der Sprachwirklichkeit die beiden Komponenten der publizistischen Stils – die intellektuelle und emotionale – ineinander. Um seine Aufgabe erfolgreich durchzuführen, muss der publizistische Stil sowohl sachliche als auch emotionale Überzeugungskraft besitzen. Einerseits ist es ein reiches Tatsachen- und Beweismaterial: aktuelle Realienbezeichnungen (Namen von Zeitgenossen, Orts- und Zeitangaben, Titel von Organisationen, Ziffern, Daten, Zitate), deutsche und fremdsprachige Termini, neue „Schlagwörter“ usw. Andererseits sind es sprachliche Mitel der emotionalen Fühlungnahme mit dem Publikum. Die intellektuelle Einwirkung auf Leser und Hörer hängt vielfach davon ab, auf welche Weise das Tatsachen- und Beweismaterial an sie herangebracht wird. Einen wichtigen Platz bei der intellektuellen Beweisführung nehmen Zitate aus verschiedenen Quellen ein: Aussprüche von bekannten Staatsmännern und Gelehrten, Stellen aus Zeitungsartikeln oder Büchern. Bei dieser Rededarstellung werden sowohl direkte als auch indirekte Rede verwendet: Wie das Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer erklärte, stellen diese skandalösen Vorfälle eine ernste Bedrohung des gesamtdeutschen Reiseverkehrs dar. Die erlebte Rede wird in Pressebericht selten gebraucht.
An der expressiven Ausdrucksgestaltung des publizistischen Stils nehmen viele Mittel Anteil.
1. Mittel der Satire (alle Gruppen von Wortwitz, unlogischen Verbindungen und stilistischen Paradoxen: Aktionäre der Sterbenmittelindustrie (gemeint ist: Erzeugung von Vernichtungswaffen); genug der Brandtreden (gemeint sind die Reden, in denen der Bürgermeister der «Frontstadt», Willy Brandt, wiederholte Male zum Krieg um Berlin auftritt); das Kruppzeug – d.h. die Industriellen um Krupp (Wortspeil, gebildet nach: Kroppzeug, umgangssprachlich für „kleine Kinder“ und verächtlich für „kleine Leute“).
2. Die Wortbildung – Neologismen: Kanonenstatt-Butter-Politik, Auchdemokraten, Passivisten-Spassivisten;Verkleinerungssuffixe: Experimentchen.
3. Emotional gefärbte Phraseologie, das Überwiegen der literarisch-umgangssprachlichen Stilfärbung: Das Unrecht stinkt gen Himmel. (Beachte die ironische Zusammenstellung des Vulgarismus stinkt mit der dichterisch-gehobenen Kurzform gen.).
4. Zahlreiche Tropen, Vergleiche. Wenn in der wissenschaftlichen Prosa die Mittel der Bildlichkeit zur Klärung und Konkretisierung des Gedankengehalts bestimmt sind, so üben sie in der Publizistik nebst dieser Grundfunktion noch eine andere Funktion aus – eine emotionalere Darstellung: Die Volksmassen der kriegführenden Länder haben begonnen, sich aus den amtlichen Lügennetzen zu befreien
5. Dialektismen stehen als charakterologische Mittel im Dienst von Humor und Satire, z.B. bei Unterschriften von Karikaturen oder in der Bildecke der Zeitung.
6. Auch bildhafte Periphrasen und Epitheta zeigen die emotionale Anteilnahme des Publizisten: Ein Korrespondent der «Berliner Zeitung»schlägt vor, die Lautsprechsäulen auf den Straßen nur bei besonderen Anlässen in Betrieb zu setzen; denn derselbe Lautsprecher, um den sich bei feierlichen oder außerordentlichen Begebenheiten die Menge in atemloser Spannung staut, verwandelt sich – wie er launig schreibt – in eine Nervensäge, in einen Brüllteufel, in einen bösen Quälgeist, wenn er Tag für Tag seine Stimme ertönen lässt.
Auf dem Gebiet der Grammatik sind folgende Mittel typisch: reiche Verwendung von Parallelismus und Antithese, Frage und Antwort, verschiedene Arten der Wiederholung und Aufzählung, emotionale Wortfolge, Abbrüche unf Einschaltungen. Da zahlreiche publizistische Arbeiten auf inhaltlichem Kontrast aufgebaut sind (Darstellungen gegensätzlicher Weltanschauungen, Meinungen, Situationen usw), müssen zur sprachlichen Realisierung lexische und syntaktische Antithesen dienen – und dies meist zusammen mit oben genannten Ausgrucksmitteln. Man muss sich mit dem Gesagten begnügen, weil die Mannigfaltigkeit des Stils der Presse und Publizistik es unmöglich macht, in einem kurzen Überblick mehr als eine flüchtige Skizzierung seiner wichtigsten linguistischen Züge zu geben.
Der Stil der Alltagsrede
Die Hauptfunktion des Stils der Alltagsrede (auch Alltagsstil, Umgangssprachstil genannt) besteht darin, ungezwungen intime Mitteilungen privater Natur oder sachliche, aber nicht offiziele Feststellungen aus dem Alltags- und Arbeitsleben im mündlich-dialogischen Verkehr an Gesprächspartner weiterzuleiten. [Riesel: 445] Die Erscheinungsformen des Alltagsstils sind vorwiegend umgangssprachlich genormt. Man kann folgende Erscheinungsformen dieses Stils nennen:
Mündlich-dialogisch (im Privat- und Familienleben, im täglichen Arbeits- und Geschäftsverkehr);
Mündlich-monologisch (in Berichten, Erzählungen und Reden mit Alltagsthematik, in Reden anlässlich verschiedener Vorkommnisse, z.B. bei Hochzeiten, Geburtsfeiern);
schriftlich-dialogisch (im privaten Briefwechsel und in Tagebüchern).
Die Umgangssprache ist eine zwischen Literatursprache und Dialekten stehende Erscheinungsform der Nationalsprache. Der Umgangssprachstil ist die zu bestimmten Zwecken ausgewählte und nach bestimmten Gestzmäßigkeiten angeordnete Verwendungsweise der Umgangssprache im Alltagsverkehr. Der Gebrauch der sprachlichen Elemente hängt von dem Gesellschaftskreis des Sprechenden, von seinem Bildungsgrad ab. Es können bald die literarischen, bald die mundartlichen Elemente, bald Argotismen und Jargonismen sein. Die Wesenszügedes Alltagsstils sind folgende:
1. Ungezwungenheit und Lockerheit
2. Emotionalität und subjektive Bewertung der Aussage,
3. Konkretheit, Bildhaftigkeit, Schlichtheit und Dynamik,
4. Hang zuHumor, Spott und Satire,
5. Hang zur Ausdrucksfülle der Rede einerseits und zur Kürze andererseits.
In der Sprachwirklichkeit fließen natürlich die genannten Merkmale ineinander.
Als Hauptfunktion des Alltagsstils wird von E. Riesel die ungezwungene lockere Verständigung der Menschen im privaten Umgang angesehen. Ungezwungenheit und Lockerheit im Stil der deutschen Alltagsrede kommen durch bestimmte lexisch-phraseologische Mittel zum Ausdruck. In sämtlichen Stilen der Nationalsprache wird der Einschluss von Parenthesen, die mit dem Thema nichts zu tun haben, oder die Verwendung von umgangssprachlichen Konstruktionen und familiären oder groben Wörtern als Zugeständnis an den Alltagsstil betrachtet. Die wichtigsten Spracheigenheiten im Stil der Alltagsrede sind Flickwöretr aller Art.
a) Modalwörter: wohl, gewiss, sozusagen, kurz u. ä.;
b) Interjektionen aller Stilfärbungen: oh, au, bums, zum Teufel u. ä.;
c) Partikel: ja, doch, einmal u. ä.;
d) Fragewörter: nicht wahr? Wirklich? u. ä;
e) Adverbien: so, natürlich u. ä.;
f) ganze Wendungen: Moment mal! Was Sie nicht sagen! u. ä..
Die Rede der Menschen im Alltagsverkehr wird oft von derartigen Füll- und Schaltwöretrn (wer weiß wie, Gott weiß wie, der Teufel weiß wie …) überflutet: Er ist schon wieder wer weiß wo gewesen. Ich werde der Teufel weiß wann mein Geld zurückbekommen. Kennzeichnend für den lockeren Ton des Umgangssprachstils ist die Bezeichnung von Personen, Dingen, Gegenden durch die Periphrasen Ding, Zeug, Sache, oft in Zusammensetzung mit dem Adberb da: Sie hat sich schon wieder so ein Ding, solche Dinger (solches Zeug, solche Sachen) gekauft – Der Dingsda hat mir gesagt. All diese Formulierungen klingen entweder unbekümmert oder bewusst herabsetzend. Die sprachliche Spezifik des Alltagsstils äußert sich auch in der sorglosen Verwendung von Dialektismen, Argotismen und Vulgarismen. Man nennt z.B. die Zigarettenstummel in Berlin Kometem (Kippen) und in Wien Tschicks.
Auf phonetischem Gebiet werden Wörter und Wortgruppen achtlos hingeworfen, manchmal nicht bis zum Ende gesprochen: raus, runter, dran, aufn Berg, orntlich (ordentlich), ‘n Hans, ‘n Puppe, soll’ s ‘n sein (Was soll es denn sein?), nich, nisch u ä.
Besonders bemerkbar ist die Spezifik der lockeren Ungezwungenheit in den grammatischen Normen des Alltagsstils. Die große Zahl der Parenthesen, der Konstruktionsveränderungen und zahllosen Abbrüche mitten im Satz: “Bist du müde?” – “I wo. Und du?” – “Natürlich, sogar sehr. Aber trotzdem. Ich werd’ schon.” Es sei betont, dass die Pluralformen auf –s (wie z. B. Mädels, Jungens, Bengels, Kumpels, Arbeiters) typisch umgangssprachlichen Charakter haben.
Im Alltagsstil haben alle Berichte, Erzählungen und Dialoge emotionalen und zum größten Teil bewertenden Charakter. Eine wichtige Rolle bei der Realisierung dieses Merkmals spielen die Epitheta: ein phänomenales Konzert, ein ganz ausgemachter Lump, ein 150 prozentiger Bürokrat, goldrichtig, heilfroh, stinkfein. Emotionale Einstellung steckt in den zahlreichen Ausrufen, die in die Rede eingeschaltet werden: o weh! (Schmerz), Etsch! (Schadenfreude), toi-toi-toi (um etwas nicht zu “verrufen”), ach Käse!, Verdammich!, Verflucht!, Himmlisch!, Unsinn!, Quatsch!.
In die Umgangssprache kommen auch viele Wörter und Wendungen, die gleichzeitig im Studenten- und Schülerjargon benutzt werden: pauken, büffeln, ochsen, durchfliegen (bei der Prüfung durchfallen), er ist aus dem Amt geflogen (entlassen worden) exen (exmatrikulieren, entlassen, kündigen) Viele Wörter werden in der Umgangssprache in übertragener Bedeutung gebraucht: das Geklimper (über das Klavierspiel); Ich werfe deine Heule (Radio) raus; Komm, ich zeige dir meine Bude (eine Wohnung).
Der Wortschatz des Alltagsstils zeichnet sich durch auffallende Konkretheit, Bildhaftigkeit, Dynamik und Schlichtheit aus.
1.2.5. Der Stil der schönen Literatur
Der Stil der schönen Literatur unterscheidet sich qualitativ von den übrigen Stilen der Nationalsprache. Die gesellschaftliche Funktion der schönen Literatur besteht darin, durch ästhetische Einwirkung, durch künstlerische Bildhaftigkeit die Wirklichkeit widerzuspiegeln. Als Baumaterial, mit dessen Hilfe verschiedene Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens dem Leser zu Bewusstsein gebracht werden, dient der gesamte Reichtum der Nationalsprache. Gerade wegen dieser Fülle und Weite von Ausdrucksmöglichkeiten weigern sich manche Forscher (Levin), den Stil der schönen Literatur als einheitlichen Stiltyp anzusehen. Nach dieser Meinung dürfe man nur von künstlerischen Individualstilen sprechen. E. Riesel lehnt diese Meinung ab. Die sprachliche Spezifik des Stils der schönen Literatur, schreibt sie, “besteht eben darin, dass sämtliche Quellen sprachlichen Ausdrucks … verwendet, sämtliche Elemente der verschiedensten Stile herangezogen werden können, um durch eine hohe Stufe künstlerischer Bildhaftigkeit und Eindringlichkeit die angestrebte gesellschaftliche Funktion zu erfüllen.” [Riesel: 17] Der Stil der schönen Literatur wird auf schriftlichem Weg verbreitet und ist literarsprachlich genormt. Die auf mündlicher Überlieferung beruhende Dichtung führt den Namen “Folklore” (Volksdichtung) und besitzt ihre besonderen Sprach- und Stileigentümlichkeiten. [näheres siehe Brandes: 220]