Aus literaturcafe.De: Interwiev, 2002
Literatur-Café: Sie pendeln von einem Termin zum anderen, haben zahlreiche Auftritte beim ZDF Morgenmagazin, schreiben Kolumnen für die taz und Zitty und haben ihre eigene Radiosendung. Wie lebt es sich mit einem solch überfüllten Terminkalender?
Wladimir Kaminer: Manchmal macht es Spaß, es kann aber auch lästig sein. Ich bin nie länger als 3-4 Tage unterwegs und versuche, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen.
Literatur-Café: Genießen Sie nicht auch ein wenig den Ruhm um ihre Person?
Wladimir Kaminer: Das ist etwas problematisch. Es ist schwierig, wenn man wenig erreicht; genauso schwierig ist es aber, wenn man zu viel erreicht. Im Grunde genommen nehme ich mich gar nicht so wichtig. Mehr interessiere ich mich für meine Mitmenschen, für das Leben der anderen.
Literatur-Café: Als Sie vor zwölf Jahren nach Deutschland kamen, sprachen sie kein Wort Deutsch. Wie kam es, dass Sie so schnell der deutschen Sprache mächtig wurden und sogar Bücher auf Deutsch schrieben?
Wladimir Kaminer: Anfang der 90er habe ich im Theater gearbeitet. Dort bestand die Arbeit größtenteils aus Kommunikation. Ich hatte keine andere Wahl, als die Sprache so schnell wie möglich zu lernen.
Mit der Zeit hat mich die Theaterarbeit jedoch nicht mehr gereizt. Egal was ich dort machte - es entsprach nicht meinen Vorstellungen und erfüllte nicht meine Erwartungen. Dieses ganze Spiel und diese ganze Verstellung haben den Zauber für mich verloren.
Literatur-Café: Sie schreiben also über die Menschen Ihres Umkreises. Demnach kommen keine fiktiven Charaktere hinzu.
Wladimir Kaminer: Weder meine Erzählungen, noch die Charaktere sind fiktiv. Das Erfinden von Geschichten sehe ich als eine kopflästige Angelegenheit. Das Leben und die Realität bieten doch genügend Stoff, um zu schreiben.
Meine Geschichten haben auch keine Happy-Ends, denn die existieren auch im realen Leben nicht. Das Leben geht immer weiter. Happy-Ends sind allerhöchstens Zwischenstationen im Leben.
Literatur-Café: Ihren Kurzgeschichten haben Sie den Namen »Alltagsbewältigungsprosa« gegeben. Sollen diese Ihnen zur Bewältigung des Alltags helfen oder dem Leser?
Wladimir Kaminer: Eigentlich beiden, weil man sich in dem geschriebenen Leben wiederfinden kann und Dinge verarbeiten kann. Literatur ist eine Lebensform, in der man sich verstecken und für kurze Zeit leben kann. Sozusagen ein Ausgleich zum realen Leben.
Literatur-Café: Was bedeutet das Schreiben für Sie?
Wladimir Kaminer: Es ist mittlerweile zur Sucht geworden. Ständig fallen mir neue Geschichten ein. Man hat ein geschriebenes und ein wirkliches Leben. Von beiden kann man viel lernen.
Manchmal hat man Angst, dass es aufhört. Manchmal hat man Angst, dass es kein Ende findet.
Literatur-Café: Sie leben seit 1989 in Deutschland, haben eine Liebe zum Prenzlauer Berg entwickelt und sich in der Literaturszene etabliert. Fühlt man sich nach einer solch langen Zeit mehr der deutschen oder der russischen Nationalität verbunden?
Wladimir Kaminer: Muss man eine Nationalität haben? Ich würde gerne auf Nationalitäten verzichten. Mit meiner Literatur über die verschiedenen Menschen und deren Kulturen stehe ich für Offenheit, Toleranz und Menschenachtung. Ich fühle mich lediglich als Mensch unter Menschen.
Literatur-Café: Was schätzen Sie an Deutschland, bzw. an Berlin?
Wladimir Kaminer: Ich schätze vor allen Dingen die nette Umgebung am Prenzlauer Berg. Berlin ist eine sehr gemütliche, zum Leben geeignete Stadt. Es hat etwas von einem Dorf, wo jeder den anderen kennt und dennoch ist es eine Metropole.
Der heutige Tag für Kaminer:
Wladimir Kaminer zählt zu den Viel-Schreibern. Mit neuem Buch ist der gebürtige Russe, der in Berlin lebt, jetzt unterwegs. Es heißt „Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger“.
Kaminer schreibt vorzugsweise kurze Geschichten, meistens über Menschen aus seiner Umgebung. Seine Ehefrau kommt in seinen Büchern vor, auch seine Kinder und seine Mutter. Der hat er jetzt das neue Buch gewidmet. Warum erst jetzt ein ganzes Werk? „In der letzten Zeit lieferte meine Mutter so viele Geschichten, das wiegt wie ein Buch“, sagt Kaminer im Telefongespräch. Dabei rollt er das R wie nur jemand kann, der in Russland auf die Welt gekommen ist. Am 9. Dezember tritt Kaminer in Göttingen auf, am 10. Dezember hat seine Mutter Geburtstag. Sie wohnt in seiner Nachbarschaft. Ist er dann wieder zurück in der Hauptstadt? „Ja, wir gehen Georgisch essen“, sagt Kaminer. Warum gerade Georgisch? „Wir halten das für die absolute Spitzenküche“, sagt er, anderes als die russische: „Teigtaschen aufwärmen und Wodka dazu kippen.“
Seine Mutter sei sehr neugierig, erklärt Kaminer. In Griechenland sei er im Urlaub gewesen, seine Mutter habe gefragt, ob das etwas für sie sei. „Sie will immer in die Welt, hat aber Schwierigkeiten, zur Kaufhalle um die Ecke zu kommen.“