Wunsch nach mehr Erziehung
Die durch die Studie verdeutlichten Schwachstellen im Bildungssystem zeigten, dass gesamtgesellschaftlich umgedacht werden müsse, hieß es nun in Berlin, und daraus wurden konkrete Forderungen abgeleitet: Es müsse mehr Geld für öffentliche Bildungseinrichtungen geben. Zudem solle eine bessere Kooperation zwischen Eltern und Schulen auf den Weg gebracht werden. Und Familienpolitik solle mit Bildungspolitik stärker verschränkt werden.
Zu denjenigen Eltern, die sich mehr Erziehung in der Schule wünschen, zählen viele türkische Eltern. Das hat das Institut für Allensbach in einer speziellen Stichprobe herausgefunden. Türken sind die größte Migrantengruppe in Deutschland und stehen derzeit besonders im Fokus vieler Medien, auch weil es teilweise große Integrationsprobleme gibt. Türkische Eltern können ihren Kindern, das ergab die Studie, oftmals nicht so helfen, wie sie wollten. Denn es mangele an entsprechenden Deutschkenntnissen. So entstünden besonders hohe Erwartungen an die Schulen.
Ahmet Toprak, Professor für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Dortmund
Doch hier wird ein anderes Problem berührt, das die Konrad-Adenauer-Stiftung in der jüngst veröffentlichten Studie "Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland" beschrieben hat. Viele türkische Eltern hätten demnach eine falsche Vorstellung von Schule und damit auch ein schwieriges Verhältnis zu Lehrern. "Das Problem besteht darin, dass beide Seiten, also Eltern und Lehrer, Wünsche haben, aber niemand von diesen Wünschen direkt weiß", sagt Ahmet Toprak, Erziehungswissenschaftler und Mitautor der Studie. "Die Schule erwartet von den Eltern, dass sie ihre Kinder vorerziehen und fertig in der Schule abgeben. Nur davon wissen die Eltern nichts und schicken ihre Kinder mit der Hoffnung in die Schule, dass die Schule sie anständig erzieht."
Wie gegensteuern?
Ungefähr ein Drittel der türkischen Eltern seien überfordert, schätzt Toprak. Gleichzeitig aber hätten sie hohe Anforderungen und wollten, dass ihre Kinder Abitur machen. Einen Lösungsweg sieht Toprak in mehr Ganztagsschulen und längerem gemeinsamen Lernen über die vierjährige Grundschule hinaus. "Wir selektieren sehr früh, und da scheiden vor allem Kinder aus ärmeren Verhältnissen und aus Migrantenfamilien aus, weil sie die Unterschiede in vier Jahre nicht kompensieren können." Deshalb müsse ernsthaft umgedacht werden, so Toprak: "Ob wir wollen oder nicht, Schule wird erziehen müssen. Das sagt unsere praktische Erfahrung."
Bildungspolitik wird in Deutschland seit zehn Jahren wieder groß geschrieben - auch weil in einer schrumpfenden Gesellschaft jeder kluge Kopf gebraucht wird. Die beiden vorgestellten Studien geben interessante Impulse für die laufende Debatte, wie Schulen in Deutschland effektiver werden könnten.
Autor: Kay-Alexander Scholz Redaktion: Svenja Üing
Karte 44. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (742 Wörter; 5398 Zeichen) 10 Min.