Aus der Verfassungsgeschichte Europas
Europa des 19. Jahrhunderts kann stolz darauf sein, als Geburtsstätte einer der freiheitlichsten Verfassungen der Weltgeschichte zu gelten, nämlich der Belgischen Verfassung vom 7. Februar 1831. Der belgische Nationalkonvent wertete in der neuen Verfassung die Erfahrungen der Franzosen und Engländer aus, ohne sie nachzuahmen. Belgien brachte eine liberale Verfassung von reinstem Wasser zustande.
Im ersten Titel wurde vom Land und seiner Einteilung in Provinzen gesprochen und das Reich als Zentralstaat verfaßt. Das Recht der Provinzen und Gemeinden sowie deren Verfassung wurde dem gesamtstaatlichen Rahmen eingeordnet. Im Titel II, der die Rechte der Bürger regelte, ging es um die Staatsangehörigkeit und einen langen Katalog der traditionellen Freiheitsrechte. Was die Belgier hier als geltendes Recht verbrieften, machte ihr Land zur fortschrittlichsten Heimat der Bürgerfreiheit auf dem Kontinent.
Selbstverständlich ging alle Gewalt vom Volke aus und lag die Gesetzgebung bei den beiden Parlamentkammern. Sie mussten darüber öffentlich verhandeln und beschließen, ehe der König ihr Werk unterzeichnete und verkündete. Streng wurde auf Gewaltenteilung geachtet. Nur dem Parlament sollte das Recht der verbindlichen Auslegung seiner Gesetze zustehen. Niemand sollte gleichzeitig Abgeordneter und Staatsdiener sein. Immunität der Abgeordneten und Unabsetzbarkeit der Richter waren ebenfalls Selbstverständlichkeiten.
Es gab in Belgien zwei Parlamentskammern, auf die der König keinen Einfluß hatte. Beide Häuser wurden vom wahlberechtigten Volk beschickt. Das passive Wahlrecht zum Senat war an ein Mindestalter von 40 Jahren gebunden. Auch sollten die Senatoren ehrenamtlich tätig sein, während die mit bereits 25 Jahren wählbaren Mitglieder der Abgeordnetenkammer eine Entschädigung erhielten und Freifahrt bei den Eisenbahnen genossen. Für das aktive Wahlrecht setzte man Vermögensbesitz voraus, so daß nur 1 – 2% der Bevölkerung wählen konnte.
Der belgische Staat vollzog die Trennung von der Kirche und führte die obligatorische Zivilehe ein. Vom König als dem Inhaber der vollziehenden Gewalt redete die Verfassung im Anschluß an die Volksvertretung. Er war Angestellter der Nation und bezog von dieser ein Einkommen. Die Finanzangelegenheiten des Staates waren seiner Verfügung entzogen und unterlagen allein der Herrschaft des Parlaments. Der König hatte vor Amtsantritt dem Parlament den Eid auf die Verfassung zu leisten. Er war selbst unverletzlich, bedürfte aber für Regierungsakte der Gegenzeichnung der verantwortlichen Minister.
Das junge Königreich Belgien machte aus der Bürgerfreiheit die Grundlage des Staates. Diese Verfassung hat bis heute Bestand. Es bedurfte lediglich weniger Novellierungen, um sie dem Gang der Zeit anzupassen. Es war die schönste Anerkennung für diese Verfassung, daß sich die Völker Europas in der Folgezeit bei ihren Verfassungswerken danach ausrichteten.
Задание 5. Дополните предложения в соответствии с содержанием текста:
1. Europa des 19. Jahrhunderts kann stolz darauf sein ... . 2. Im Titel II ... . 3. Nur dem Parlament sollte ... . 4. Das passive Wahlrecht ... . 5. Für das aktive Wahlrecht ... . 6. Die Finanzangelegenheiten des Staates ... . 7. Der König hatte vor Amtsantritt ... . 8. Es war die schönste Anerkennung für diese Verfassung ...
Задание 6. Найдите ответы в тексте на следующие вопросы:
1. Worauf kann Europa des 19. Jahrhunderts stolz sein? 2. In welchem Land entstand die erste liberale Verfassung? 3. Worum ging es im ersten Titel? 4. Was wurde im Titel II verfasst? 5. Bei wem lag die Gesetzgebung? 6. Wer war der Inhaber der vollziehnden Gewalt? 7. Was wurde eingeführt? 8. Wer war für die Finanzangelegenheiten zuständig? 9. Hat diese Verfassung bis heute Bestand?