Warum schlagen Pillen so unterschiedlich an? Die Pharmaforscher

werden neue Arzneien entwickeln –

maßgeschneidert nach dem Erbgut dessen, der sie nimmt.

Lange Zeit schien es den Pharmakologen ein Rätsel, warum Menschen auf ein und dieselbe Arznei derart unterschiedlich reagieren. „Die meisten Medikamente wirken nur bei 30 bis 40 Prozent der Patienten so, wie sie sollen“, sagt Daniel Cohen von der Pariser Biotech-Firma Genset. Das liegt vor allem an winzigen, punktuellen Änderungen der Erbsubstanz DNS, die bei jedem Menschen in großer Zahl auftreten. Die kleinen Unterschiede im Erbgut, SNPs (sprich: „Snips“) genannt, offenbaren sich bisweilen dramatisch: Insgesamt sterben jedes Jahr tausende Menschen an den Nebenwirkungen von Medikamenten, die sie schlucken. Das Mittel Procainamid zum Beispiel, das Infarktpatienten gegen Herzrhythmusstörungen feien soll, schädigt bei zahlreichen Behandelten die Leber schwer, weil die Kranken diese Arznei von Natur aus langsamer abbauen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Nicht immer geht es so schlecht aus, wenn die genetische Ausstattung eines Menschen von der Norm abweicht, nach der sich die Pharmakologen ausrichten. Manche Medikamente bleiben dann einfach nur wirkungslos. „Bis heute handeln Pharmafirmen wie Hersteller von Handschuhen, die Handschuhe nur in einer Größe produzieren“, spottet Chris Moyses von der britischen Biotech-Firma Oxford GlycoSciences. „Von Patienten erwartet man, dass sie sich da hineinquetschen.“ Wie zahlreiche junge Pharmaunternehmen versucht auch die Firma Oxford Glyco-Sciences, auf der Basis der Genomforschung für jeden Patienten eine persönliche Pille zu schaffen, die seiner genetischen Ausstattung exakt angepasst ist. Der Ausspruch „meine Medizin“ wäre dann wörtlich zu nehmen.

„Eine Revolution im Denken“ der Pharmahersteller entstehe durch diesen neuen Forschungszweig der Pharmakogenomik, meint Jonathan Knowles, Chef der Arzneimittelforschung beim schweizerischen Konzern Roche. An dieser Revolution beteiligen sich inzwischen auch Pharmariesen wie Novartis, Bayer und Aventis. Vor einem Jahr haben sie gemeinsam mit sieben weiteren weltweit operierenden Konzernen ein Konsortium gegründet, das die Erkundung des menschlichen Genoms fördern soll.

Die Firmen möchten eine Karte des menschlichen Erbguts zusammenstellen, auf der alle kleinen Unregelmäßigkeiten verzeichnet sind. Geschätzt wird, dass etwa jeder tausendste der mehr als drei Milliarden Bausteine der menschlichen DNS ein SNP ist. „Das Wissen, das wir in den nächsten Jahren mit der neuen Genomkarte erlangen werden, hat das Potenzial, die Praktiken der Medizin fundamental zu ändern“, erklärt der Chef des Konsortiums, Arthur Holden aus Chicago. Erkrankungen werden sich immer schärfer voneinander trennen lassen, so dass es für jede Unterart einer Krankheit auch ein spezielles Arzneimittel geben wird. Je exakter die genetischen Defekte bekannt würden, die zu einer Erkrankung führen, meint Humangenetiker Bartram, desto genauer ließen sich Substanzen herstellen, die diese Defekte wieder wettmachen. „Schließlich hat jede Krankheit eine genetische Komponente – selbst wenn sie durch die Umwelt ausgelöst wird“, betont der Baseler Bioforscher Urs Meyer. Aus diesem Grund belasten Umweltgifte immer nur einen Teil der Bevölkerung – mancher Kettenraucher erreicht trotz Übergewicht und Abscheu gegen Salat ein Alter von 100 Jahren. Nur William Haseltine will bei der Pharmakogenomik nicht mitspielen. Der Chef der – ebenfalls auf Genforschung ausgerichteten – Firma Human Genome Sciences in Rockville (Maryland) geriert sich als Ketzer unter den ansonsten einmütig dem neuen Forschungszweig verfallenen Pharmabossen.

„Die Arzneimittelindustrie rechtfertigt mit der Pharmakogenomik nur ihr Versagen, weil sie keine nebenwirkungsarmen Medikamente hinkriegt“, sagt Haseltine. Es sei der falsche Weg, wenn unzählig viele, individualisierte Arzneien entwickelt würden. „Wenn Menschen zu ihrer Medizin passen sollen, wird es immer Menschen geben, die zu gar nichts passen“, warnt der Firmenchef aus Rockville. Schon heute gebe es genügend seltene Krankheiten, gegen die nur deshalb kein Mittel existiere, weil es sich für die Unternehmen nicht lohnt, entsprechende Pillen zu entwickeln. „Wir

wollen weiterhin Arzneien“, unterstreicht Haseltine, „die so vielen Menschen wie möglich helfen.“ Eines jedenfalls ist bereits jetzt gewiss: Die maßgeschneiderten Arzneimittel werden nicht billig zu haben sein. Plausibel also, dass die zukünftigen Träger der Genkarten diese vermutlich in der Nähe ihrer Kreditkarten aufbewahren werden.

Nachübungen

1.Fragen zum Text:

1. Wonach strebt die Genforschung in der nächsten Zeit?

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