Die Stellung der Nebenglieder im Satz
§ 302.Die Nebenglieder des Satzes sind ihrer Stellung nach im Satz bedeutend freier als die Hauptglieder. Doch auch für die Stellung der Nebenglieder lassen sich manche Richtlinien geben. Je enger zwei Wörter dem Sinn nach miteinander verknüpft sind, desto enger sind auch ihre syntaktischen Beziehungen. So steht das Attribut stets bei seinem Beziehungswort; das Objekt steht meist beim Verb, mit dem es durch Rektion verbunden ist.
Am lockersten ist die Verbindung zwischen Prädikat und Adverbialbestimmung, denn diese bezieht sich meist nicht so sehr auf das Prädikat als vielmehr auf den ganzen Satz. Auch die Art ihrer syntaktischen Verbindung — die Anschließung — ermöglicht ihr die größte Bewegungsfreiheit innerhalb des Satzes.
§ 303. Das Attribut nimmt im Satz keine selbständige Stellung ein, denn es ist stets an sein Beziehungswort gebunden, das im Satz verschiedene syntaktische Funktionen ausüben kann. Das Attribut kann dem Beziehungswort vor- oder nachgestellt werden. Das hängt meist mit seiner grammatischen Form zusammen. Das kongruierende Attribut wird dem Beziehungswort stets vorangestellt.
Er hat blondes, gekräuseltes Haar... (H. Fallada)
Ihre schönen, blassen Hände, ohne Schmuck bis auf den schlichten Ehering, ruhten in den Schoßfalten eines schweren und dunklen Tuchrockes... (Th. Mann)
Von mehreren kongruierenden Attributen, die durch verschiedene Wortarten ausgedrückt werden, kommt zuerst das Pronomen, dann das Numerale; das Adjektiv bzw. Partizip steht dem Beziehungswort am nächsten.
Seine ältliche Frau und zwei fast erwachsene Töchter wohnten mit seinen eigenen Eltern zusammen... (A. Seghers)
Sie sprach freimütig und freundlich mit ihrer leicht verschleierten Stimme... (Th. Mann)
Unsere drei Freunde werden angewiesen, sich auf die Bank zu setzen... (E. E. Kisch)
Von mehreren attributiven Adjektiven setzt man dasjenige unmittelbar vor das Beziehungswort, welches mit diesem am engsten verbunden ist.
Ihr Schwiegersohn war doch ein kräftiger junger Mann ohne besondere Krankheit. (A. Seghers)
Sie nannte ihn Freund, nun gut, sie lasen neuere philosophische Bücher zusammen... (A. Zweig)
Wenn das Beziehungswort einen Artikel bei sich hat, so steht das kongruierende Attribut zwischen Artikel und Substantiv, die somit einen grammatischen Rahmen bilden. Besonders klar tritt dieser Rahmen zutage, wenn das Attribut ein erweitertes ist. Er faßt dann nicht nur das Attribut selbst, sondern alle seine näheren Bestimmungen, welche ihrerseits durch Substantivgruppen ausgedrückt sein können. Innerhalb des erweiterten Attributs steht das eigentliche Attribut (Partizip oder Adjektiv), dem Beziehungswort am nächsten.
Die bisherige feudale oder zünftige Betriebsweise der Industrie reichte nicht mehr aus für den mit neuen Märkten anwachsenden Bedarf. (K. Marx/F. Engels)
Ein und dasselbe Beziehungswort kann außer einem erweiterten Attribut ein oder mehrere attributive Adjektive bzw. Partizipien bei sich haben. Diese können dem erweiterten Attribut vor- oder nachgestellt werden.
Die lange, ziemlich breite Allee, an deren Ende Zeckes Villa liegt, tut sich vor Pagel auf. (H. Fallada)
Ein weiter, duldsam vieles umfassender Horizont tat sich auf. (Th. Mann)
Enno erzitterte unter dem Blick dieser mitleidslos auf ihn gerichteten höhnischen Augen. (H. Fallada)
§ 304. Das nichtkongruierende Attribut wird dem Beziehungswort meist nachgestellt. Das gilt für das präpositionale Attribut sowie für die Attribute, welche durch Infinitive und Adverbien ausgedrückt sind.
Der Himmel hinter den Wolken war sehr blau. (E. M. Remarque)
Mein Wunsch, mich anzuschließen, wurde gut aufgenommen. (A. Seghers)
Die Dreschmaschine draußen singt und brummt... (H. Fallada)
Auch das Genitivattribut wird seinem Beziehungswort meist nachgestellt. Nur wenn es durch einen Eigennamen ausgedrückt ist, wird es oft vorangestellt.
Am Tisch der Stube achtundvierzig spielten vier Mann Skat. (E. M. Remarque)
Tonio Krögers Herz zog sich schmerzlich zusammen bei diesem Gedanken. (Th. Mann)
Er konnte die Worte Klemms nicht ganz verstehen... (A. Seghers)
Von den nichtkongruierenden Attributen werden die Kardinalzahlen und die undeklinierbaren Adjektive stets vorangestellt.
Drei Tische mit Stühlen standen an den Wänden. Ein Bild hing über dem mittleren. Es war eine Tiroler Landschaft. (E. M. Remarque)
§ 305. Die gebundene Apposition wird dem Beziehungswort meist vorangestellt:
Mein Freund Hugo zog aus seiner Aktentasche Photos von neuen Filmen. (E. E. Kisch)
Frau Polanski schaut ihren Sohn groß an. (E.E. Kisch)
Sie wird nachgestellt, wenn das Beziehungswort ein Pronomen ist, wenn die Apposition einen Beinamen bezeichnet oder wenn sie durch als an das Beziehungswort geknüpft wird.
Inzwischen standen wir Journalisten auf dem Korridor, umgeben von den Hausbewohnern... (E. E. Kisch)
In diesem Wägelchen aber saß das Kind, saß Anton Klöterjahn der Jüngere... (Th: Mann)
Er mochte den aufgeweckten Jungen nicht leiden, konnte ihn als Funker aber nicht entbehren. (R. Petershagen)
Die lose Apposition steht immer nur nach dem Beziehungswort. Zuweilen löst sie sich von ihm los und kommt am Ende des Satzes zu stehen.
An seinem dreißigsten Geburtstage, einem hellen und warmen Junitage, saß er nach dem Mittagessen in dem grauen Gartenzelt... (Th. Mann)
Es war Gerda, die Mutter zukünftiger Buddenbrooks. (Th. Mann)
Pagel wurde in das Arbeitszimmer des Mannes geführt, einen großen, fast düsteren Raum... (H. Fallada)
§ 306. Das Objekt steht bei der geraden Wortfolge in der Regel gleich nach dem finiten Verb.
Er saß vorgebeugt und hielt den Hut zwischen den Knien. (Th. Mann)
Sie erwartete ihren Freund jeden Augenblick. (A. Seghers)
Er erblickte den älteren Alwig in den Rüben und rief ihn an. (A. Seghers)
Georg folgte dem Männlein vom Weg ab über den Wiesengrund. (A. Seghers)
Bei mehreren Objekten zu einem Prädikat gelten folgende Regeln:
1. Enthält der Satz ein Akkusativ- und ein Dativobjekt und sind beide durch Substantive ausgedrückt, so steht das Dativobjekt zuerst.
Freitag nachmittag packte Frau Peachum ihrem Mann ein Hemd und einige Kragen in eine Handtasche... (B. Brecht)
Ein Schüler der unteren Klasse mußte dem Schüler der höheren Klasse die Stiefel putzen... (J. R. Becher)
2. Ist eines der beiden Objekte ein Pronomen, so steht das Pronomen vor dem Substantiv.
Warum... hat er alles der Frau erzählen müssen? (A. Seghers)
Fabian schob ihr mechanisch einen Sessel zu... (B. Kellermann)
3. Sind beide Objekte durch Pronomen ausgedrückt, so steht das Pronomen es vor den anderen.
„Nimm es ihr nicht übel.“ (E. Claudius)
Der Herr Leutnant..., eine Zigarette zwischen den Lippen,... verlangt Feuer. Der Förster gibt es ihm. (H. Fallada)
4. Das präpositionale Objekt wird den anderen Objekten meist nachgestellt, ausgenommen jedoch das Objekt, welches durch einen Infinitiv bzw. eine Infinitivgruppe ausgedrückt ist. Dieses nimmt im Satz stets die Endstellung ein.
Ich erzählte unserm Chefredakteur von dem Telegramm. (E. E. Kisch)
Der Hauptmann befahl ihm barsch, an den Tisch zu treten. (A. Seghers)
Die Anfangsstellung des Objekts, für dieses ein recht seltener Fall, ist meist ein Mittel zu dessen Hervorhebung.
Kinder hatte Graeber schon lange nicht gesehen. (E. M. Remarque)
Dem und seiner Frau Mimi wollte er sagen, was für ein Subjekt von Schwiegersohn sie hatten. (W. Bredel)
Die Hand Diederichs drückte er so kraftvoll, daß Diederichs Gesicht sich verzerrte... (H. Mann)
§ 307. Die Stellung der Adverbialbestimmungen läßt sich nicht genau festlegen.
Erst in zwei Stunden geht der Zug nach Prag. (E. E. Kisch)
Er hatte den ganzen Tag nach einem Zimmer gesucht... (E. M. Remarque)
Dona Cayetana, Dreizehnte Herzogin von Alba, gab einen Theaterabend für ihre Freunde in ihrem Madrider Palais. (L. Feuchtwanger)
Von mehreren Adverbialbestimmungen steht die Adverbialbestimmung der Zeit meist vor der Adverbialbestimmung des Ortes.
Drei Tage später kam Johannes Friedemann um zwölf Uhr mittags von seinem regelmäßigen Spaziergange nach Hause. (Th. Mann)
Hans fuhr an den Sonntagen in die Jugendherberge wie früher. .. (A. Seghers)
Für die Stellung der Adverbialbestimmungen ist die Art von Wichtigkeit, wie sie ausgedrückt werden. Eine Adverbialbestimmung, die durch ein Adverb ausgedrückt ist, steht meist vor einer anderen, durch eine präpositionale Wendung ausgedrückten Adverbialbestimmung.
Eine verhärmte alte Frau öffnete vorsichtig nach einer Weile. (E. M. Remarque)
Er ging langsam durch die Straßen. (E. M. Remarque)
Hans hatte ihn oft eiskalt in Gefahr gesehen... (A. Seghers)
Die durch einen Infinitiv bzw. eine Infinitivgruppe (ohne einleitendes um) ausgedrückte Adverbialbestimmung des Zwecks steht am Ende des Satzes.
„Ich komm dir sagen, daß ich gestern nicht antreten konnte.“ (E. E. Kisch)
Es kam auch niemand, die Briefe zu beheben. (E. E. Kisch)
Ein Wagen mit Männern der Volkswehr fuhr nach Uhlenhorst, den Geheimrat holen. (W. Bredel)
§ 308. Das prädikative Attribut kann gleich den Adverbialbestimmungen verschiedene Stellungen innehaben. Es kann die Anfangs- oder auch die Endstellung (außerhalb des Rahmens) im Satz einnehmen, namentlich wenn es durch eine Wortgruppe ausgedrückt ist.
Ruhigen Herzens legte sie sich zeitig nieder und schlief rasch ein. (B. Uhse)
Geruhsam und bester Stimmung geht Pagel dem Walde zu... (H. Fallada)
Sonntagabend kam Georg zurück, braun und lustig. (A. Seghers)
Meist steht das prädikative Attribut innerhalb des Satzrahmens.
...auf den weiß leuchtenden Kieswegen gingen die Gäste plaudernd und rauchend umher. (Th. Mann)
Er fand seine Frau gesund wieder und seine drei kleinen Söhne. (A. Seghers)
Er stellte ihn als seinen Tagelöhner vor... (A. Seghers)
...man habe ihn jahrelang als einen Klassenverräter gebrandmarkt. (A. Seghers)
§ 309.Zur Wortstellung der Nebenglieder des Satzes ist noch zu bemerken, daß das Nebenglied, welches das Wichtigere, das Neue der Mitteilung enthält, zumeist ans Ende des Satzes gerückt wird.
...im grauen Reisemantel betrat er den Salon der Grünlichs und umarmte mit einer gewissen schmerzlichen Innigkeit seine Tochter. (Th. Mann)
Am liebsten und längsten aber plauderte Tony, nach dem Mittagessen oder morgens beim ersten Frühstück, mit ihrem Vater. (Th. Mann)
Die Edle von Treuenfels hatte für Ottilies Verhalten nur ein Achselzucken übrig. (F. C. Weiskopf)
Wie bereits zu Beginn des Kapitels festgestellt wurde, lassen sich keine allgemeingültigen Regeln für die Wortstellung im deutschen Satz festlegen. Im Zusammenhang damit sei noch darauf hingewiesen, daß das wichtigste, am stärksten betonte Satzglied im Satz meist von seiner gewohnten Stellung verrückt wird. Dies ist der Grund, weshalb auch das Subjekt des Satzes die ihm sonst nicht zukommende Endstellung einnehmen kann, der nichtkonjugierte Teil des Prädikats dagegen die Anfangsstellung. Auch die gewohnte Ordnung der Nebenglieder kann auf diese Weise geändert werden.
Kapitel IX
Die Anrede
§ 310.Die Anrede ist ein Wort (bzw. eine Wortgruppe) im Nominativ, das die angeredete Person bzw. das Ding nennt. Die Anrede ist mit den Satzgliedern grammatisch nicht verbunden. Sie kommt meist im Gespräch vor sowie in Ansprachen, Losungen, Aufrufen, Bekanntmachungen, Briefen usw. und hat die Aufgabe, die angeredete Person ins Gespräch zu ziehen, sie auf eine Äußerung aufmerksam zu machen. Die Anrede bezeichnet:
1. Personen. Dazu dienen Personennamen, Verwandtschafts-, Alters-, Berufs- und andere Bezeichnungen;
„Was ist also mit dem Auto, Achim?“ — „Mit dem Auto ist alles in Ordnung, Eva“, erklärte der Rittmeister. (H. Fallada)
„Hast du gehört, Vater?“ rief er aus... (B. Kellermann)
„Nun, Kinder, sagt, was ihr auf dem Herzen habt.“ (W. Bredel)
„Antworten Sie nur, wenn Sie gefragt werden, Kellner“, sage ich nachlässig zu ihm. (E. M. Remarque)
Anmerkung. Die Wörter Mensch und Mann verlieren oft, als Anrede (mit familiärem Beiklang) gebraucht, ihren semantischen Inhalt.
„Warum bist du hier?“ — Miesicke überlegt lange. „Ich weiß es beim besten Willen nicht!“ —„Na, Mensch, brauchst dich nicht zu genieren!“ (W. Bredel)
„Meier, Mensch, das vergeß ich dir nicht!“ (H. Fallada)
„Mann“, sage ich zu Watzek. „Wenn Sie wüßten, wonach mir der Kopf steht...“ (E. M. Remarque)
2. andere Lebewesen. Dazu dienen Benennungen von Tieren und Tiernamen;
„Pack an!“ ruft Hopp seinem Hunde heiser zu: „Pack an!“ Und: „Herein, zu mir! Herein, Krambambuli!“ lockt es drüben mit zärtlicher, liebevoller — ach mit altbekannter Stimme... (M. v. Ebner-Eschenbach)
3. unbelebte Dinge. Solche Anreden kommen in der schöngeistigen Literatur vor. Wir haben es dann mit einer Personifizierung zu tun.
Tritt, o Mond, aus deinen Wolken! erscheinet, Sterne der Nacht! (J. W. Goethe)
Mit einem Gefühle, worin gar komisch Ehrfurcht und Rührung gemischt waren, betrachtete ich die neugebornen blanken Taler, nahm einen... in die Hand und sprach zu ihm: junger Taler, welche Schicksale erwarten dich. (H. Heine)
Als Anrede treten meist Substantive auf (Beispiele siehe oben); oft sind es auch substantivierte Adjektive im Positiv oder Superlativ und substantivierte Partizipien.
„Ganz richtig, Alter!“ ruft einer dazwischen... (W. Bredel)
„Aber urteilen Sie selbst, Verehrtester“, fuhr die Baronin fort... (B. Kellermann)
„Überlassen Sie es gefälligst uns, wen wir verhaften sollen oder nicht, Angeklagte!“ (B. Kellermann)
Eine Anrede wird oft in aufforderndem, zuweilen bittendem, warnendem, befehlendem usw. Ton gesprochen.
„Edgar!“ sagte Doktor Mantelsack, schloß sein Notizbuch... und setzte sich aufs Katheder... (Th. Mann)
Da die Leute ihn nur ansahen, schrie er: „Maschinenmeister!“ (H. Mann)
„Herr Meier!“ warnt ihn Pagel. „Machen Sie keine Dummheiten!“ (H. Fallada)
Ein Wort, das als Anrede auftritt, kann durch nähere Bestimmungen (Attribute, Apposition) erweitert werden.
„Mein lieber Fritz“, schrieb die Tante Amalie, „wo mag Dich wohl dieser Brief erreichen?“ (A. Seghers)
„Rainer, lieber, guter, so sei doch gescheit!“ (J. R. Becher).
„Wo haben Sie denn Ihren Wagen stehen lassen, Herr Meier?“ fragte er. (H. Fallada)
Die Anrede wird dem Satz vor- oder nachgestellt, sie kann auch in den Satz eingeschoben werden.
„Du, Papa, man sieht ja heute überhaupt keine Uniformen“, rief Violet. (H. Fallada)
„Ich bitte, dich, Mama, rege dich nicht von neuem auf!“ bat Christa. (B. Kellermann)
Wissen Sie, wo Ihr Mann ist, Frau Papke? (W. Bredel)
Kapitel X