Ein erster Informationsgang
(Nachdem sie nochmals ins Appartement zurückgegangen sind und sich frisch gemacht haben)
Klaus: Ganz schön warm heute. Nicht? Ende Juni.
Boris: Du hast wohl schon Wolgograd vergessen. Aber ich befürchte heute eine andere Hitze. Was werde ich für Informationen bekommen, wenn ich die Absicht habe, hier ein oder zwei Semester zu studieren?
Klaus: Ich verstehe deine Unruhe. Aber wir werden die Sache systematisch angehen. Im Übrigen ist jetzt die vorlesungsfreie Zeit. Die Verwaltung ist zwar präsent. Aber die Professoren sind vermutlich im Ausland oder arbeiten zu Hause. Ohnehin musst du eigentlich wissen, wann sie eine Sprechstunde angesetzt haben.
Boris: Und wo ist nun das Institut für Weltwirtschaft?
Klaus: Ich weiß gar nicht, ob es ein solches Institut hier wirklich gibt. Übrigens sind nicht alle Institute im Wiso-Hochhaus – in dem roten Backsteinriegel, den du dort drüben siehst – untergebracht. Viele kleinere Universitäts-Institute liegen in Nebenstraßen auf angemieteten Etagen. Auch das Institut für Osteuropäische Geschichte, wo Gisela arbeitet.- Übrigens noch zur Wiso-Fakultät, was viele Studenten wohl nicht wissen: Neben einer Reihe von Kapazitäten lehrte hier als Nationalökonom und Soziologe auch Alfred Müller-Armack: Er prägte den Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“, die von Ludwig Erhard, dem ersten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, umgesetzt wurde.
Aber werd nicht nervös! Du wirst allerdings heute noch erfahren, was du jetzt wissen musst. Ich werde dir natürlich im Vorbeigehen den ganzen Uni-Komplex zeigen, und dann werden wir uns über das Vorlesungsverzeichnis (VLV) weiter informieren.
Boris: Gut! Ich vertraue mich deiner Führung an. Das Gebäude hier, vor dem die Albertus-Magnus-Plastik steht, ist wohl ein älteres?
Klaus: Genau! Das sog. „Hauptgebäude“. Man errichtete es Ende der zwanziger Jahre wegen der expandierenden Wirtschaftsfakultät. Die Mediziner hatten natürlich von Anfang an ihren nahe gelegenen Klinik-Komplex. Die Physik und Chemie sind wieder ganz woanders.
Boris: Und gehören diese Betonklötze – entschuldige – auch zur Uni?
Klaus: Natürlich. Wo sollte das bei der größten Universität Deutschlands sonst alles unterkommen? Man baute und baute; aber fünf Jahre später platzte schon wieder alles aus den Nähten. Heute allerdings fehlt oft das Geld für die notwendigen Reparaturen.
Boris: Und wo bekommen wir nun dieses Verzeichnis, von dem du sprachst?
Klaus: Gleich. Eins nach dem andern. Hier gewinnst du ohnehin keinen Durchblick durch Laufen und Fragen, sondern nur über die Homepage und amtliche Informationsbroschüren. Sonst bekommst du kontinuierlich Fehlinformationen. Und das kann dich Semester kosten.
So, warte mal jetzt zehn Minuten da drüben an der Cafeteria. Ich treibe inzwischen ein Vorlesungsverzeichnis auf. Du siehst dich mal auf diesem Platz vor dem Hauptgebäude um und fragst dich, ob du dich hier wohl fühlen könntest. Fällt manchem sehr schwer.
(Boris läss die Fülle der Eindrücke auf sich einwirken; dieselbe Sonne, die auch über Wolgograd scheint, weckt heimatliche Gefühle, zumal wenn er jetzt auch an Gisela denkt)
Klaus: (zurück, schwingt das VLV in der Hand)Hier ist es!
Boris: Wie, ein ganzes Buch?
Klaus: Nur 380 Seiten stark. Wir bleiben hier sitzen und sehen mal’ rein. Einmal die Ankündigungen der Lehrveranstaltungen für das kommende Winter-semester, nach den verschiedenen Fakultäten geordnet. Jeder Student stellt sich hieraus seinen Stundenplan selbst zusammen. Nicht alle Veranstaltungen sind obligatorisch. Das hat selbstverständlich Vor- und Nachteile. Der Nachteil, dass manche Studenten, die sich nicht richtig informieren und den Überblick verlieren, scheitern. Eigenverantwortung und Selbstdisziplin sind die Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium. Der Vorteil, dass du andauernd eingefahrene Gleise verlassen und deine ganz persönlichen Entdeckungen machen kannst. So habe ich z.B. vor zwei Semestern eine Vorlesung bei den Regionalwissenschaftlern für Ostasien belegt, über die WTO-Umsetzung in China.
Boris: Interessant. Aber für mich leider nicht gerade klärend.
Klaus: Die Klarheit kommt noch. Also die Ankündigungen nehmen den größten Teil des VLV.s ein. Daneben findest du aber auch eine Fülle von anderen Informationen: die Anschriften, Rufnummern und Öffnungszeiten, auch der UB, der Verwaltungsabteilungen, und vor allem des Akademischen Auslandsamts. Am besten studieren wir heute Nachmittag zu Hause mal das Inhaltsverzeichnis. Im Institutsteil der Wiso-Fakultät sehen wir dann nach, welche Institute für dich überhaupt in Frage kommen. Im Personalteil finden wir die Namen, Anschriften und Sprechstundenzeiten der Professoren. Allerdings kannst du auch alles über die Uni-Homepage abrufen und herunterladen und abdrucken. Übrigens: Auch der Leihverkehr der UB erfolgt per PC. Im Online-Katalog recherchierst und bestellst du die Titel, am besten von zu Hause aus. Homepage idioteneinfach: www.uni-koeln.de.
Boris: Ich sehe: Wenn ich hier weiterstudieren sollte, werde ich schon einige Zeit brauchen, um mich durchzufinden.
Klaus: Drei Tage, Boris, und dann ist alles gelaufen. Und wie wir in Wolgograd, so wirst auch du hier Kommilitonen finden, die dir zur Not helfen.-
Es ist jetzt Viertel vor zehn. Auf zum Akademischen Auslandsamt, hier um die Ecke.
Texterläuterungen
WTO -World Trade Organization
VLV -Vorlesungsverzeichnis
WISO-Hochhaus -das Hochhaus der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät
Nationalökonomie –Synonym für Volkswirtschaftslehre, Lehre von der Gesamtheit der Wirtschaft eines Staates oder Landes
PC -Personal Computer
UB- Universitäts- und Stadtbibliothek
Wörter und Wendungen