Aber wenn wir hinter Dortmund auf der A 2 sind, wirst du auch Landschaft sehen
Boris: Auch Landwirtschaft? Oder importiert ihr das alles?
Klaus: Das nicht. Wiewohl die Importe von Obst und Gemüse aus Frankreich, Italien und Spanien sowie Fleisch aus Polen nicht gering sind. Die Produktion ist dort bei den niedrigeren Löhnen billiger. Das versucht man bei uns u. U. durch erhöhte Rationalisierung wettzumachen. Landwirtschaftliche Großbetriebe, Tierhaltung in Großställen. Kaum noch eine Kuh oder ein Huhn im Freien. Das traditionelle deutsche Dorf findest du nur noch im Kinderbilderbuch.
Boris: Gibt es außer dem Ruhrgebiet sonst noch Industriezentren in Deutschland?
Klaus: Selbstverständlich: das Rhein-Main-Dreieck zwischen Frankfurt und Karlsruhe, die Auto-, Elektro–und High Tech-Industrie mit BMW und Siemens bei München, Stuttgart mit Daimler-Chrysler, dann natürlich noch VW in Niedersachsen, in Wolfsburg bei Braunschweig, wo wir auch vorbeikommen. Dagegen sind mittelständische Produktionsunternehmen über ganz Deutschland verteilt. Und langsam, langsam tut sich auch etwas in Ostdeutschland.
… (einige Zeit später)
Klaus: So, hier hinter Bielefeld verlassen wir Nordrhein-Westfalen. Mit Gütersloh bei Bielefeld ist der Name Bertelsmann verbunden: einer der weltweit größten Medienkonzerne. Köln und vor allem München sind übrigens durch Rundfunk, Fernsehen und Verlage herausragende Medienstädte. Aber da du dich für unsere Wirtschaft interessierst, muss ich dich auch noch auf Hannover als Messestadt hinweisen: die internationale CeBIT für Informationstechnologie und vor allem die Hannover Messe, die größte Industriemesse der Welt. Zur Eröffnung unseres Jahrtausends fand hier unter dem Motto „Mensch – Natur – Technik“ ja auch die „EXPO 2000“ statt. Übrigens ist Hannover auch der Sitz der TUI, des größten Reiseunternehmens Europas. Das alles – VW erwähnte ich schon – in Niedersachsen.
Boris: Schon erstaunlich, wie dicht hier alles zusammenliegt. Ist ja ein ganz anderes Raumgefühl: alles so gedrängt, mir auf die Dauer vielleicht zu bedrückend.
Klaus: Hört man oft von Menschen, die aus Russland kommen. Eure faszinierende, anziehende Weite kannst du hier nicht erleben. Dafür aber auch wieder die dichte Kulturlandschaft mit den vielen Residenzstädten. Hinter Hannover liegt Braunschweig. Der große Lessing verbrachte hier seine letzten, sehr traurigen Lebensjahre. Und dann kommen wir in Sachsen-Anhalt auch noch an Magdeburg vorbei, der Stadt Ottos des Großen, Gründer des mittelalterlichen deutschen Kaiserreichs. Bei Bielefeld, was jetzt schon hinter uns liegt, habe ich ganz vergessen, dich auf den Teutoburger Wald hinzuweisen. Hier stoppte der Cheruskerfürst Arminius die römische Expansion, die sich die Elbgrenze als Ziel gesetzt hatte. So blieb die endgültige Grenzlinie des römischen Imperiums der Rhein. In Köln die Römer, jenseits – oder jetzt diesseits des Rheins die Germanen.
…. (wieder etwas später)
Boris:Jetzt ist schon gleich drei. Vielleicht hätten wir doch an einer Raststätte eine Pause einlegen sollen.
Klaus: Entschuldige, ich befürchtete aber, dass wir in einen Stau kämen, auch hier in Brandenburg, gleich um Berlin herum. Der Freitagnachmittagsverkehr ist immer besonders hektisch. Dort von Potsdam aus ist es nur noch eine halbe Stunde.
Boris: Du sagst Potsdam? Da kann ich ja direkt mit meinen Schulkenntnissen aufwarten: Potsdamer Abkommen, Juli/August ’45; Truman, Attlee, Stalin; die Aufteilung Deutschlands in die vier Besatzungszonen. Wer hätte damals gedacht, dass hier die Grundlage für den Kalten Krieg gelegt wurde? Wo ursprünglich die Schaffung einer europäischen Nachkriegsordnung geplant war! Und was ist heute daraus geworden? Kann man die Geschichte lenken?
Klaus: Darüber denke ich auch oft nach. Die Wahl von Potsdam als Konferenzort hatte natürlich Symbolcharakter. Mit Potsdam verbinden wir ja immer noch Schloss Sanssouci als Lieblingsort Friedrichs II. Schade, dass Gisela nicht bei uns ist. Sie könnte bestimmt dazu noch eine Menge sagen.
So, hier endet auch schon die Autobahn, und wir sind gleich in Berlin-Zentrum. Ich muss mich jetzt mal ganz aufs Fahren konzentrieren. Heute Abend bei Michael werden wir noch genug reden.
Texterläuterungen
Armin(ius) - 16 v.Chr. (von Verwandten ermordet) 21 u.Z. Cheruskerfürst; stellte sich nach seiner Rückkehr aus röm. Kriegsdiensten an die Spitze der german. Befreiungsbewegung gegen die römische Fremdherrschaft zwischen Rhein und Elbe, vernichtete drei röm. Legionen (etwa 20000 Mann) im Teutoburger Wald