Ausstellung: Russische Kunst vom Anfang des 20. Jahrhunderts

„Die russische Avantgarde und Paul Cézanne“: Der Besucher sieht eine Menge schöner, interessanter Bilder. Und die besten stammen von Cézanne. Zumindest unter den Landschaften und Stillleben einer Schau im Hammer Gustav-Lübcke-Museum.

„Kastanienbäume und Farm in Jas de Bouffans Farm“ (1886/87) ist nicht zuletzt deshalb ein Werk ersten Ranges, weil Natur in der Kunst lebt – nicht etwa auf einer illusionistisch gemalten Oberfläche, sondern verborgen aus den Farben und Formen heraus strahlend. Zudem spricht das Bild von großartiger Harmonie, von einer stillen, sonnigen Geschlossenheit in dem Miteinander der Farben und der Dinge. Die Bäume gehören wie selbstverständlich zu Berg und Feld, auch zu den aus ihnen herauswachsenden Farmgebäuden und dem blauen, luftig bewölkten Stück Himmel rechts oben. Alles klingt.

Wo auch immer sich Bilder der russischen Avantgardisten des 20. Jahrhunderts, jenen Cézannisten“, dem französischen Altmeister annähern – vollständig erreichen sie diese Qualität, diese wundersame Wirkung nicht. Roschdestwenskis „Stiller See“, fast impressionistisch, farblich aufgelöst (1921) oder seine sehr blaue, sehr emotional erscheinende „Nächtliche Landschaft mit Pappeln“, klar, wuchtig gegliedert in der Komposition, sind dennoch prächtige Bilder. Das zweite ist mystisch dunkel.

Maschkows „Genfer See“ (1914) ist sehenswert. Das Bild macht sich fast schon leise auf den Weg, um Corinth einzuholen. Das Stillleben „Äpfel und Birnen auf Weiß“ (1908) orientiert auch am französischen Urmeister der Moderne, auch wenn sein weißes Tischtuch wie ein ferner Salzberg aussieht. Cézanne hätte das nie so frech mit fettem Pinsel „hingeschmiert“ belassen.

Maschkows „Modelle“ (1918), stark farbige, in derbem Schwung gemalte nackte Damen, wirken plastisch, mit nach innen gezogenen Randabdunkelungen, wie sie Wilhelm Morgner gern machte. Kuprins Stillleben, meist auf bläulichem Weiß, Details in kräftigen Tönen (Blau, Rot, gelbliches Orange), Tische in Parallelperspektive gemalt, rücken Cézanne bewusst dicht auf den Pelz. „Olivenbäume“ lassen sich schon fast mit Bildern des Meisters verwechseln, wenn man sie nur flüchtig von weitem betrachtet.

Robert Falk hat schön-cézannistische Landschaften (Krim, 1915) gemalt, seine „Badenden mit Ziege“ lassen vermuten, dass er kubistische und fauvistische Bilder gesehen hat. – Das ist überhaupt eine deutlich sichtbare Eigenschaft der russischen Avantgarde dieser Epoche: Sie greift nicht nur ganz bewusst auf Cézanne zurück, sondern hat selbstredend auch die übrigen jüngeren Strömungen im Westen rezipiert. Man verarbeitet sie – wo man nicht urplötzlich über sie hinaus schließt. Nicht umsonst sind Maler wie Larionow, Gontscharowa (Gruppe „Karo-Bube“) und Tatlin, vor allem Malewitsch immer auf der Suche nach neuen „Stilen“, werbewirksam versehen mit einprägsamen Schlagworten. Unter denen ist der (auch Studenten beigebrachte) Cézannsmus nicht der schlechteste Versuch. Futurismus, später Kubofuturismus, reduzierte Formen im Suprematismus (um 1915) – die Stilwechsel mit Vorreiter Malewitsch funktionierten so lange, bis Stalin die Lust am Individuellen endgültig verlor und den Sozialistischen Realismus mit einiger Gewalt durchsetzen ließ. Etliche Künstler gingen ins Ausland. Malewitschs Schüler Konstantin Roschdestwenski, der eine für seine Mitstreiter wichtige Analyse über Cézannes Kunst schrieb (1925), malte 1933 seine wilden „Wege“. Dieses expressive Werk schließt die Ausstellung in Hamm geradezu symbolisch ab.

Erläuterungen zum Text

Stillleben, n – натюрморт

Schwung, m …Schwünge – взмах, подъем

Kastanienbaum, m – каштан

Randabdunkelung, f -en – затемнение краев

Rang, m…Ränge - ранг, степень

Pelz, m – e - мех

Oberfläche, f –n - поверхность

verwechseln - перепутать

verborgen - скрытый

vermuten - предполагать

Geschlossenheit, f – закрытость

zurückgreifen auf Akk. – использовать прежние методы

Ding, n –e - вещь

selbstredend - говорящий сам за себя

herauswachsen - вырастать

Strömung, f –en - направление, течение

annähern, sich - приближаться

rezipieren - воспринимать

erreichen - достигать

hinaus schließen - хватить через край

auflösen - разрешать

einprägsam - впечатляющий

prächtig - великолепный

Schlagwort, n, …,wörter - ключевое слово

Dunkelheit, f –en - темнота

Gewalt, f –en - власть

durchsetzen - осуществлять

abschließen - завершать

sehenswert - достойный внимание

Pinsel, m - кисть (художника, для рисования)

(Mathematik)

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