Stilistische Leistung der Wortfolge
Die Wortfolge hat folgende Aufgaben:
1. die strukturbildende oder die grammatische bei der Gestaltung der Satzarten und Wortgruppen;
2. die kommunikative bei der Angabe der Thema-Rhema-Gliederung;
3. die stilistische, die vor allem die expressive Hervorhebung einzelner Satzteile sowie die Auslösung gewisser Stileffekte bewirkt.
Die stilistische Wortfolge ist, ebenso wie die grammatische, an bestimmte Normen gebunden; die Abweichung von der Wortfolge ist eine individuelle, literarsprachlich nicht genormte Erscheinung, dazu berufen, im konkreten Kontext bestimmte Ausdrucksfunktion auszuüben. Die beiden dienen zum Ausdruck funktionaler und semantisch-expressiver Schattierungen.
Unter stilistischer Wortstellung versteht E.Riesel jede Anordnung im Satz, die zur nachdrücklichen Hervorhebung dieses oder jenes Satzgliedes dient. [Riesel: 242]. Die Wortfolge unterliegt gewissen Gesetzmäßigkeiten bei der Erfüllung ihrer stilistischen Leistung.
Die erste Gesetzmäßigkeit: Die Anordnung der Elemente einer Mitteilung wird von ihrem Mitteilungswert bestimmt. Als Ausgangspunkt der Mitteilung tritt das Thema auf, gewöhnlich in der Form des Satzsubjekts. Die übrigen Elemente reihen sich ihrem kommunikativen Gewicht nach ein. In der Satzfolge verwandelt sich das Rhema eines Satzes in das Thema des darauf folgenden Satzes: Sie hat ihm ein Buch geschenkt. Das Buch hat ihm sehr gefallen. Als übliche Stellung des Subjekts im einfachen erweiterten Aussagesatz gilt die Anfangsstellung. Im nichtexpressiven Satz Der Vater ist heute zurückgekommen liegt der Akzent auf der Prädikatsgruppe (ist heute zurückgekommen); sie ist das “Neue” im Satz, während das Subjekt (der Vater) das “Gegebene” ist. Soll aber semantisch-expressiv betont werden, dass gerade der Vater heute gekommen ist, mit anderen Worten: bedeutet hier das Subjekt das “Neue”, so kommt ihm besonders nachdrückliche Betonung zu: Der Vater ist heute gekommen. Eine derartige Betonung des Subjekts bei unveränderter Anfangsstellung wird hauptsächlich in der mündlichen Rede gebraucht. Eine andere Form stilistischer Hervorhebung des Subjekts in Anfangsstellung entsteht bei der Verbindung mit einem Prädikativsatz: Der Vater ist es, der heute zurückgekommen ist. Die Lokalisation des Subjekts in Endstellung gilt oft als Mittel der Spannung. Wir wollen erfahren: Von wem, wovon wird eigentlich ausgesagt? Und erst der Satzschluss bringt die Entspannung: Von der zweiten Wand schaute, gezogen von einem Schwan, kühn und fern in seiner silbernen Rüstung, der Bayernkönig Ludwig der Zweite. Die deutsche Sprache hat eine Satzbauvariante mit es, um das Rhema-Subjekt ans Ende zu rücken: Es war … Es lebte … Es zogen … Zur nachdrücklichen Hervorhebung des einfachen Prädikats dient die Anfangsstellung. Diese Wortfolgeänderung (Prädikat an erster, Subjekt an zweiter Stelle) wirkt besonders so stark, weil im Deutschen das aussagende Verb streng an seinen Platz gebunden ist. Eine solche stilistische Anfangsstellung findet sich im Stil des Alltags bei lebhafter Rede oder in der schönen Literatur als Widerspiegelung des Alltagsgesprächs: Geh ich da gestern durch die Stadt. Treff ich weißt du wen? (lebhafte Erzählung) “Hast du verstanden?” – “Nein, versteh ich nicht!” (Dialog) In stilistische Anfangsstellung wird oft der zweite Teil des zusammengesetzten Prädikats gesetzt, wenn er das “Neue” enthält: Fortgehen will ich! – Großartig ist der Erfolg. Das Dativobjekt steht bei nichtexpressiver üblicher Wortfolge vor dem Akkusativobjekt: Er schickt seinem Freund einen Brief. Wenn es sich um nachdrückliche Betonung des Dativ- oder Akkusativobjekts handelt, so wird in beiden Fällen die stilistische Anfangsstellung gewählt: Dem Volk gehören Wald und Tiere. Dem Volk gehört die Macht. Wenn das Objekt in Anfangsstellung das Neue enthält, kann das Subjekt in Endstellung geraten: Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Zur nachdrücklichen Hervorhebung des Adverbiales dient die Anfangsstellung: In meiner Wohnung war ich lang nicht mehr. Zur nachdrücklichen Betonung des Prädikatsattributs ist sowohl die stilistische Anfangs-, als inbesondere die stilistische Endstellung geeignet: Fröhlich, übermütig und kichernd trat das junge Mädchen. Er sah noch schmächtiger aus, als Oskar erwartet hatte, blass, alle Züge schärfer, den Mund noch schmaler, aber er grinste übers ganze Gesicht, vergnügt, spitzbübisch, frech, schlau.
Zu der Nullstellung des adjektivischen Attributs (wie etwa eine kleine Stadt) gibt einige syntaktisch-stilistische Synonyme. Zunächst die archaistische unflektierte Kurzfirm in Vor- oder Nachstellung: Röslein rot… Dieser grammatische Archaismus ist heute nur in zwei Bereichen des Sprachverkehrs nachweisbar – in der Poesie und auf dem Gebiet des Anzeigen-und Reklamewesens: rein Nickel - echt Lyoner Seide – Bücherschrank gebeizt – Möbel nussbaum fourniert.
Die zweite Gesetzmäßigkeit besteht im Wechsel der Ein- und Ausklammerung. Es sind zwei Parallelformen, mit deren Hilfe ein Satz entweder als eine geschlossene Ganzheit oder als eine Reihe von Satzabschnitten gestaltet wird. Besonderes Interesse in stilistischer Hinsicht bietet die sog. Rahmenkonstruktion (Einklammerung). Diese syntaktische Erscheinung gehört zu den Strukturgesetzen des deutschen Satzbaus. Man unterscheidet zwei Formen des prädikativen Rahmens: den vollständigen und den unvollständigen. Beim vollständigen Rahmen sind die beiden Teile des Prädikats maximal voneinander getrennt (sog. Distanz- oder Fernstellung): Der Redner brach mittendrin in seinem Vortrag mit ein paar Worten der Entschuldigung ab. Er ist mit der Arbeit, die er sich vorgenommen hat, endlich fertiggeworden.
Beim unvollständigen Rahmen rücken die beiden Prädikatsteile einander näher, d.h. ein Satzglied wird ausgeklammert: Er sah mich an mit erstaunen Augen. Ich habe dem Freund nachgeblickt eine ganze Weile. Unter der Ausklammerungversteht man das Ersetzen eines großen satzumfassenden Spannungsbogens durch kleinere Abschnitte: Plötzlich, keiner wusste so recht, wie es kam, fingen beide an zu lachen, verrückt und albern und toll. Dank der Ausklammerung wird dieser Satz in vier Abschnitte eingeteilt; zugleich wird der letzte Teil hervorgehoben, da nach der Entspannung, durch das Verb lachen ausgelöst, ein neuer Spannungsbogen entsteht. Ausgeklammert werden häufig:
a) Adverbialien: Dieser Mensch ist wirklich unangenehm mit seiner ewigenNörgelei. Er ist nicht zu sprechen vor Glück. Er musste seinen Wert beweisen,Sophies wegen. Besonders oft sind es Adverbialien des Vergleichs: Seine Augen mögen in der Finsternis glänzen wie die eines angebrochenen, lange gefangenenPanters.Sie steckt noch in den gleichen alten Ringmauern und Türmen wie vordreihundert Jahren.
b) Prädikatsattribute: Mehrere Männer stürzten vor, die Fäuste geballt.
c) Appositionen: Das war nachher zu Ernst geworden, sogar zu bitterem Ernst.
d) Präpositionalobjekte: Er ward angestoßen von Herren in englischenAnzügen. Wir waren den ganzen Tag im Freien und hatten großen Appetit. Wir haben täglich gegessen Butter, Milch, Eier, Gemüse, Früchte in großen Mengen.
Die Absonderung erfogt in dem Falle, wenn die Rahmenkonstruktion fehlt. Die abgesonderten Sarzteile werden strukturell und intonatorisch von dem übrigen Satz abgehoben. Die abgesonderten Satzteile können Vorderstellung, Zwischenstellung oder Nachstellung einnehmen: Unsicher von Natur, ist er infolge des überraschenden Empfanges doppelt linkisch. Alle Männer, von Gang und Tisch gesprungen, stehen, starr die Augen zur Tür. Als Absonderung in der Zwischenstellung wird auch Einschaltung (Parenthese) betrachtet: Ich bin schläfrig – die halbe Nacht habe ich gelesen - , und mir fallen die Augen zu. Ausgeklammerte oder abgesonderte Gruppen können in Form von Sätzen isoliert werden. In diesem Fall spricht man über Isolierung (absolute Absonderung, Parzellierung): Heute nacht hat man eingebrochen. In der Fabrik. Ich muss ja ein Geschenk kaufen. Für die Mutter. Die Ausklammerung findet sich in allen Stilarten. Ihre Quelle ist die Alltagsrede, die auf mündlichen Verkehr eingestellt ist. Folgendes Prinzip liegt der Ausklammerung zugrunde: Man muss den Rahmenanfang noch im Ohr haben, wenn der Rahmenschluss kommt.
Die dritte Gesetzmäßigkeit lautet folgenderweise: je stärker die Neigung des entsprechenden Satzgliedes zu einer bestimmten Stellung verletzt wird, desto stärker wird das verschobene Satzglied hervorgehoben [Riesel, Schendels: 144] Man unterscheidet drei Verbindungsarten der Satzglieder: Kongruenz, Rektion und Anschluss. Die stärkste ist die Kongruenz, die schwächste – der Anschluss. Deshalb ist die Stelle des kongruierenden Attributs so fest und ihre Verletzung so unerwartet und wirkungsvoll, während sich das Adverb dank seiner losen Verknüpfung mit dem Verb im Satz frei bewegen darf. Rückt man das kongruierende Attribut ins Nachfeld, so vernichtet man die Kongruenz (im Sing.): Röslein rot. Stimmen, laut, über dem Kürbisfeld. Die Mutter, blass, sprang die Stufen hinauf. Die normativen Regeln der Prosa werden in der Poesie nicht eingehalten: In euren Händen trugt ihr ein Stückchen künftig Blau. Als Verstoss gegen die gültige Norm der modernen Prosa empfindet man die Emdstellung des Verbs im selbständigen Satz. Sie wirkt archaisch, feierlich, gehoben: Und hinein mit bedächtigem Schritt ein Löwe tritt. Auf meiner Brust die Asche brennt. Auf dem Gebiet des Anzeigen- und Reklamenwesens: rein Nickel; echt Gold
Die vierte Gesetzmäßigkeit besteht in dem polyfunktionalen Charakter ein und derselben Wortfolge, d.h. ein und diesselbe grammatische Konstruktion hat unterschiedliche Stilwerte. Z.B. die Spitzenstellung des finiten Verbs im Aussagesatz: 1. ist der volkstümlichen Alltagsrede eigen: Peter! – Bin ich. 2. erschien früher regelmäßig im ersten Satz der Handelskorrespondenz: Habe Ihren werten Brief erhalten. 3. trifft man in der künstlerischen Prosa: Denn es regnete. Regnete ununterbrochen. 4. begegnen wir in den Volksmärchen: Sprach der Vater … Sagte das Mädchen.. Sah ein Knab’ ein Röslein stehn. 5. kündigt emotionale Rede im Alltagsverkehr an: Gefunden hab’ ich, was ich suchte. Geplaudert wird jetzt nicht mehr. Die Erststellung anderer Satzglieder hat ebenfalls einen mehrfachen Stilwert. Das Subjekt an der ersten Stelle gibt die ruhige Folge von Thema-Rhema wieder. Für das Objekt, Prädikatsattribut und Adverbiale der Art und Weise ist dies eine emphatische Ausdrucksstelle: Rotblond macht die Sonne um sechs Uhr die Stadt.