Text 8. Deutschland. Deine Kanzler

Wer hätte das für möglich gehalten: Als Ludwig Erhard, studierter Ökonom mit Doktor- und Professorentitel, Ex-Bundeskanzler (1963–1966) und langjähriger Wirtschaftsminister (1949–1963) unter Ade­nauer, 1977 im Alter von 80 Jahren starb, hinterließ er in seinem Portemonnaie einen kleinen, total zerknitterten Zettel: „Geld ist noch verborgen: a) in der großen Kommode hinter dem alten Kaffeeservice, b) im Kleiderschrank unter der Papierbespannung der Hutablage“.

Sparstrumpf statt Aktie oder Hochzins-Bankeinlage – die Episode zeigt, dass auch Finanzexperten nur Menschen wie du und ich sind. Vielleicht war es gerade diese menschliche Seite, die den „Vater des Wirtschaftswunders“ in den 50-er Jahren zum beliebtesten Politiker in Deutsch­land werden ließ, der in Meinungsumfragen immer weit vor seinem „Chef“, dem Bundeskanzler Konrad Adenauer, rangierte.

Während der hagere, asketische Kanzler ein ausgefuchster Taktiker der Macht war, galt sein Wirtschaftsminister; und späterer Nachfolger Erhard als Genießer (Zigarren und Whis­ky), der politische Sitzungen schon mal flott durchzog, um die Übertragung eines wichtigen Fußballspiels im Fernsehen nicht zu verpassen.

Es blieb den Bürgern auch nicht verborgen, dass der „Dicke“ bisweilen unter dem „Alten“ litt. Führende Industriebosse brüsteten sich öffentlich mit ihren Beziehungen zu Kanzler Adenauer und verwässerten mit dessen Hilfe wichtige Vorhaben des Wirtschaftsministers – z. B. Erhards Versuch, ein wirkungsvolles Kartell-Gesetz auf die Beine zu stellen.

Noch in den sechziger Jahren konnte – oder wollte – der sonst so penibel genaue Adenauer den Namen seines langjährigen Ministers Erhard nicht richtig buchstabieren: „Lieber Herr Erhardt" beginnen viele seiner handschriftlichen Kurznachrichten. Auf einem dieser gefürchteten Zettel an den Wirtschaftsminister stand: „Sehr geehrter Herr Doktor auf dem Bonner Markt ist der Salat schon wieder teurer geworden, wie mir meine Köchin mitteilte. Wollen Sie sich bitte darum kümmern! Adenauer.“

Doch selbst Adenauer konnte nicht verhindern, dass die CDU Ludwig Erhard zu seinem Nachfolger bestimmte („Der schafft dat nich“).

Ironie des Schicksals: Kanzler Ludwig Erhard stolperte nach drei Regierungsjahren über eine Konjunkturkrise“. Die Wirtschaft wuchs nach vielen fetten Jahren 1966 „nur“ um 2,9 %!

Aufgabe 13. Was Neues haben Sie über Ludwig Erhard aus dem Text 8 erfahren? Fassen Sie den Inhalt des Textes kurz zusammen.

Aufgabe 14. Erzählen Sie über Ludwig Erhard. Gebrauchen Sie auch folgende Information.

Kurzzeit-Kanzler mit großer Karriere

4.2.1897 –Ludwig Erhard wird in Fürth als Sohn eines Textilwarenhändlers geboren.

1913 – 1925 –Kaufmännische Lehre, 1916 Militärdienst (1. Weltkrieg), Studium der Wirtschaftswissenschaften, Doktortitel. 1923 Hochzeit mit Luise Schuster.

1925-1948– Arbeit für Wirtschaftsforschungsinstitute. 1948: Im Auftrag der Besatzungsmächte organisiert Erhard die Währungsreform.

1949-1963 – Erhard ist 14 Jahre lang Wirtschaftsminister im Kabinett von Bundeskanzler Adenauer, seit 1957 auch Vize-Kanzler. In seiner Zeit als Wirt­schaftsminister entwickelt Erhard das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ und wird zum Architekten des deutschen Wirtschaftswunders.

1963 –Bundeskanzler Adenauer (87) gibt aus Altersgründen sein Amt in der Mitte der Legislaturperiode auf. Der Bundestag wählt Erhard zu seinem Nachfolger. Am 17. Oktober präsentiert Erhard sein Kabinett.

1963-1965 – Die zunehmende Inflation in Deutschland sowie Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bilden ein schwieriges politisches Umfeld für den neuen Bundeskanzler. Schon bald gibt es die ersten kritischen Stimmen, die einen klaren Kurs des Kanzlers vermissen und ihm Führungsschwäche vorwerfen.

1965 – 1966 –Nach der Bundestagswahl 1965 verschärften sich die Meinungsverschiedenheiten mit dem Koalitionspartner FDP in Fragen der Haushaltspolitik (Steuererhöhungen oder Haushaltskürzungen). Am 1.12. 1966 tritt Erhard von seinem Amt als Bundeskanzler zurück und macht den Weg für die Große Koalition zwischen CDU und SPD frei.

5. 6.1977 –Drei Monatenach seinem 80. Geburtstag stirbt Ludwig Erhard in Bonn.

Aufgabe 15. Sprechen Sie zu den Themen:

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