Die semantische und die syntaktische Einteilung der Verben

Die Verben können von verschiedenen Standpunkten aus eingeteil werden. Vom semantischen Standpunkt aus unterscheidet man folgende Gruppen von Verben:

1. Vollverben. Dazu gehören:

a) Verben, die eine Handlung, einen Vorgang bezeichnen: arbeiten, lesen, schreiben, springen, waschen u. a.;

b) Verben, die den Übergang von einem Zustand zu einem anderen bezeichnen: einschlafen, erkranken, zufrieren u. a.;

c) Verben, die einen Zustand, die Lage eines Dinges im Räume bezeichnen: sich freuen, liegen, schlafen, stehen u. a.

2. Modalverben. Das sind: dürfen, können, lassen, mögen, müssen, sollen, wollen. Sie bezeichnen das Verhältnis des Subjekts des Satzes zu dem Vorgang, der durch das Vollverb im Infinitiv ausgedrückt wird, sowie das Verhalten des Redenden zur Realität der Aussage.

3. Verben mit abgeschwächtem semantischem Inhalt. Dazu gehören: sein, werden, bleiben, scheinen u. a. Diese Verben werden im Satz als Kopula gebraucht (s. § 248).

4. Hilfsverben. Das sind: haben, sein und werden. Sie dienen meist zur Bildung zusammengesetzter Verbalformen (Zeitformen des Aktivs und des Passivs, Infinitiv II) und haben in diesem Fall keinen eigenen semantischen Inhalt. Die Grenzen zwischen den Vollverben und den anderen Verben sind fließend. Die Verben mit abgeschwächtem semantischem Inhalt sowie das Verb haben können manchmal auch als Vollverben auftreten.

Wenn wir die Natur, oder die Menschengeschichte, oder unsre geistige Tätigkeit der denkenden Betrachtung unterwerfen, so bietet sich uns zunächst dar das Bild einer unendlichen Verschlingung von Zusammenhängen und Wechselwirkungen, in der nichts bleibt, was, wo und wie es war, sondern alles sich bewegt, sich verändert, wird und vergeht. (F. Engels)

Ich will nichts, als sagen, was war und ist... (Th. Mann)

Seit Jahrzehnten hatte jede Wahl die Hamburger Arbeiter in jubelnde Begeisterung versetzt, und sie hatten dazu Ursache gehabt... (W. Bredel)

§ 124.Vom syntaktischen Standpunkt aus unterscheidet man subjektive und objektive Verben (субъектные и объектные глаголы).

Die subjektiven Verben drücken einen Vorgang aus, der sich auf keine andere Person bzw. kein anderes Ding richtet. Sie können somit kein Objekt haben: liegen, bleiben, stehen, glühen, kränkeln, springen, sich aufführen und viele andere.

Die objektiven Verben bezeichnen einen Vorgang, der stets auf eine andere Person bzw. ein anderes Ding gerichtet ist: geben, nehmen, fragen, begegnen, gratulieren, sich bedienen, sich erinnern, bedürfen und viele andere.

Das Objekt der Handlung tritt im Satz je nach der Rektion des entsprechenden objektiven Verbs als direktes, indirektes bzw. präpositionales Objekt auf: geben — was? bedürfen — wessen? begegnen — wem? sich erinnern — woran? oder an wen? usw.

Eine besondere Gruppe der objektiven Verben stellen die sogenannten transitiven Verben dar, d. h. Verben, die ein Objekt im Akkusativ (direktes Objekt) verlangen: geben, nehmen, fragen, erzählen, schreiben u. a. Alle übrigen Verben, sowohl die subjektiven als auch die objektiven, nennt man intransitive Verben: liegen, stehen, bleiben, begegnen, bedürfen, sich erinnern u. a.

Manche Verben können bald als objektive, bald als subjektive Verben gebraucht werden: singen, nähen, schreiben, lesen, erzählen u. a. Vgl.:

Sie kämmt es mit goldenem Kamme| Und singt ein Lied dabei... (H. Heine)

Jetzt sang die Marie in der Küche. (A. Seghers)

§ 125.Vom morphologischen Standpunkt aus unterscheidet man: 1) die starken Verben; 2) die schwachen Verben; 3) die Verben praeteritopraesentia; 4) die unregelmäßigen Verben. Diese Einteilung der Verben hängt mit ihrer Konjugationsart eng zusammen. (Näheres darüber s. § 128 ff.)

§ 126.Der Wortbildung nach unterscheidet man folgende Gruppen von Verben.

1. einfache oder Stammverben: machen, lesen, werden, müssen und viele andere;

Anmerkung. Das Suffix -en des Infinitivs ist kein wortbildendes, sondern ein formenbildendes Suffix.

2. abgeleitete Verben. Sie werden von verbalen bzw. nominalen Stämmen gebildet. Die Ableitung geschieht mit Hilfe von Affixen (Suffixun und Präfixen) oder auch affixlos; dabei bekommt manchmal der Stammvokal den Umlaut: streicheln, schläfern, marschieren, duzen; aufstehen, betrachten, erzählen, mitnehmen; filmen, grünen, kürzen u. a.

Bei den mit Hilfe von Präfixen abgeleiteten Verben unterscheidet man zwei Gruppen: Verben mit untrennbaren und Verben mit trennbaren Vorsilben. Die untrennbaren Vorsilben sind: be-, ge-, er, ver-, zer-, miß-, emp-, ent- (begrüßen, gebrauchen, erzählen, verkaufen, zerschlagen, mißachten, empfehlen, entnehmen). Die untrennbaren Vorsilben sind immer unbetont. Zu den trennbaren Vorsilben gehören: ab-, an-, auf-, aus-, bei-, ein-, mit-, nach-, vor-, zu- und viele andere (abnehmen, ankommen, aufmachen, ausgeben, beiwohnen, eintreten, mitfahren, nachsehen, vorstellen, zuschauen u. a.). Steht das Prädikat des selbständigen Satzes im Präsens, Präteritum oder im Imperativ, so werden diese Vorsilben vom Verb abgetrennt: ich stehe auf, er ging mit, höre zu! Die trennbaren Vorsilben sind betont. Die Vorsilben durch-, über-, unter-, um- können sowohl trennbar als auch untrennbar sein. Hat die Vorsilbe eine konkrete örtliche Bedeutung, so ist sie meist trennbar: 'umziehen — переезжать; 'untergehen — погибать; 'durchfallen — провалиться u. a. m., vgl.: 'übersetzen — переправить, перевозить; über'setzen — переводить; um'schreiben — описывать, перефразировать; unter'drücken — угнетать; durchsuchen — обыскивать u. a. m.

Ich packte meine Sachen zusammen, in einem kleinen Koffer brachte ich alles unter. (J. R. Becher)

Hartinger kam pünktlich... „Was gibt's? Wie geht's?“ „Ich bin durchgefallen...“ (J. R. Becher)

Er ordnete seine Zettel, sah seine Angaben durch, gruppierte, unterstrich, verband Notizen durch ein bestimmtes System von Linien. (A. Seghers)

So durchreise er die Welt... (J. W. Goethe)

Alle Verben mit den untrennbaren Vorsilben durch-, über-, unter-, um- sind transitiv.

Ich unterdrückte ein Lächeln. (A. Seghers)

Die paar stillen Straßen mit ihren Vorgärten durchlief er wie Erinnerungen. (A. Seghers)

Das Mondlicht... umspielte die Wipfel der alten Bäume... (H. Mann)

Es gibt Verben, die affixlos von zusammengesetzten Substantiven abgeleitet sind: 'frühstücken (das Frühstück), 'handhaben (die Handhabe), 'ratschlagen (der Ratschlag), 'langweilen (die Langweile), 'kennzeichnen (das Kennzeichen), Trotz des betonten ersten Teils wird dieser nicht abgetrennt: 'handhaben — 'handhabte — ge'handhabt;

Die ganze Gesellschaft war in der größten Verlegenheit; man ratschlagte, was man tun sollte, und konnte keinen Entschluß fassen. (J. W. Goethe)

3. Zusammengesetzte Verben. Als erster Teil eines zusammengesetzten Verbs kann auftreten: ein Substantivstamm (mutmaßen, stattfinden, teilnehmen, wetteifern), ein Adjektivstamm (freisprechen, frohlocken, lahmlegen, liebkosen, wahrsagen), ein Partizip II (bekanntgeben, verlorengehen), ein Adverb (schiefgehen, kaltstellen, großtun), ein Infinitiv (kennenlernen, stehenbleiben).

Die zusammengesetzten Verben haben den Hauptton auf dem ersten Teil ('stattfinden, 'teilnehmen, 'freisprechen, 'lahmlegen, 'kennenlernen, bekanntgeben, 'leichtfallen, 'schiefgehen) und werden im Satz wie Verben mit trennbaren Vorsilben behandelt.

Er blieb stehen und warf einen Blick auf das Stadtpanorama. (W. Bredel)

Er nahm an der Diskussion nicht teil... (A. Seghers)

Es ist ihr niemals leichtgefallen, zu bitten. (L. Feuchtwanger)

Bei manchen zusammengesetzten Verben wird der erste Teil trotz des Haupttons nicht abgetrennt: 'mutmaßen, 'mutmaßte, ge'mutmaßt; 'liebkosen, 'liebkoste, ge'liebkost;

Stumm, wie ihr Mund war, wurden ihre Augen... Nur die Hände schwiegen nicht. Sie liebkosten das silberne Etui, sie sprachen mit ihm... (J. Brezan)

4. Verben mit sich. Die Verben mit sich stellen einen besonderen Verbtyp dar. Nur einen kleinen Teil dieser Verben kann man als reflexive Verben betrachten. Die reflexiven Verben bezeichnen eine Handlung, die auf die handelnde Person zurückgeht: sich waschen, sich anziehen, sich rasieren, sich kämmen u. a. Vgl.:

Nicht ohne Selbstzerknirschung sah er die englischen Stoffe an, in die Wiebel sich kleidete... (H. Mann)

„Womit soll ich mein Kind pflegen?... Wie soll ich mein Kind kleiden?' (W. Bredel)

Den reflexiven Verben stehen ihrer Bedeutung nach die sogenannten reziproken Verben nahe. Diese Verben bezeichnen eine Handlung, die mindestens zwei handelnde Personen voraussetzt. Dabei geht die Handlung von jeder der handelnden Personen aus und richtet sich auf die andere handelnde Person: sich zanken, sich streiten, sich schlagen, sich küssen, sich umarmen u. a.

...und als sie so voreinander standen, spürten sie beide, daß sie sich gerne umarmt hätten, aber beide standen steif und stumm... (E. Claudius)

„Haben Sie sich denn gezankt? Sie wollten doch heute heiraten?“ (H. Fallada)

In den übrigen Fällen ist sich kein Pronomen, sondern eher eine grammatische (wortbildende) Partikel. Mit Hilfe von sich bildet man:

a) intransitive Verben von den entsprechenden transitiven: bewegen — sich bewegen, erinnern — sich erinnern, fassen — sich fassen, versammeln — sich versammeln u. a. Vgl.:

Es war zu hören, daß Graf Dosse sich bei der Tür bewegte, das Parkett knirschte. Man konnte beobachten, daß er den Kopf wandte und die Lippen bewegte, als ob sie steif geworden wären. (B. Kellermann)

Nach einer Weile erinnerte ich mich an das Lachen, mit dem Hartinger auf mich zugekommen war. (J. R. Becher)

Im Programm war vorgesehen, daß er nach Tisch ein kleines Violinsolo vortragen sollte, aber niemand erinnerte ihn daran... (B. Kellermann)

b) intransitive Verben (mit oder ohne Vorsilbe) von dem Stamm eines Verbs bzw. einer anderen Wortart: sich entsinnen (sinnen), sich entschließen (schließen), sich schämen (die Scham), sich begnügen (genug), sich röten (rot) u. a.

Sofort ging ihm Christa durch den Sinn. ... Auf jeden Fall würde sie sich seiner nicht zu schämen brauchen! (B. Kellermann)

Als grammatische (wortbildende) Partikel weist sich gewisse Besonderheiten auf, die es von den wortbildenden Suffixen und Präfixen sowie von den anderen Partikeln unterscheidet. So verschmilzt sich nie mit dem Verb zu einem Wort; im Satz steht sich recht oft nicht beim Verb, sondern wird von diesem durch verschiedene Satzglieder abgetrennt; außerdem verändert es sich nach Person und Zahl. Dabei stimmen die Formen der 1. und 2. Person Singular und Plural mit den entsprechenden Akkusativformen der Personalpronomen überein.

Singular Plural
1. P. ich bewege mich 2. P. du bewegst dich 3. P. er bewegt sich 1. P. wir bewegen uns 2. P. ihr bewegt euch 3. P. sie bewegen sich

Anmerkung. Die deutschen Verben mit sich und die russischen mit dem Morphem -ся stimmen durchaus nicht immer überein, vgl.: sich freuen — радоваться, sich bewegen — двигаться; sich erholen — отдыхать, sich beeilen — спешить, sich verspäten — опаздывать; lernen — учиться, lächeln — улыбаться. Das gilt jedoch nicht für die reflexiven und reziproken Verben, vgl.: sich waschen — мыться, sich anziehen — одеваться, sich zanken — ссориться, sich umarmen — обниматься.

Von den obengenannten Verben mit sich sind die Verben zu unterscheiden, bei denen das Reflexivpronomen sich im Dativ steht: sich ansehen, sich notieren, sich merken, sich vorstellen, sich vornehmen, sich erlauben u. a. Die 1. und 2. Person Singular und Plural stimmen mit den entsprechenden Dativformen der Personalpronomen überein.

Singular Plural
1. P. ich notiere mir 2. P. du notierst dir 3. P. er notiert sich 1. P. wir notieren uns 2. P. ihr notiert euch 3. P. sie notieren sich

"Jedenfalls habe ich mir vorgenommen, mit Ihnen in Zukunft gründlich über all diese Dinge zu sprechen...“ (B. Kellermann)

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